Vormarsch auf letzte Bastionen Gaddafis

Noch kein Ende der Kämpfe der Libyen / Versorgungskrise in Tripolis / Flüchtlinge kehren zurück

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Rebellen rücken nur langsam auf Sirte, die Geburtsstadt des bisherigen libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi, vor. Derweil verschärft sich die Notlage in der Hauptstadt Tripolis.

Tripolis (Agenturen/ND). Für die Operation in der Küstenstadt Sirte fehlten erfahrene Kämpfer, berichtete eine Korrespondentin des Nachrichtensenders Al-Dschasira am Montag. Die NATO beschoss nach eigenen Angaben Radarstationen sowie Abschussbasen für Boden-Luft-Raketen in der Umgebung von Sirte. Nach Einschätzung der militärischen Führung der Rebellen könnte es noch zehn Tage dauern, bis Sirte erreicht ist. Laut Al-Dschasira sind die Kämpfer an eine wichtige Kreuzung beim Ort Nawfalija auf der Straße dorthin gelangt. Aber noch mehr als 100 Kilometer liegen vor ihnen.

Laut Angaben eines Militärsprechers kontrollieren die Aufständischen inzwischen auch die Straße zwischen Tripolis und Sebha. Eine unabhängige Bestätigung gibt es dafür nicht. Die Wüstenstadt in Zentrallibyen gilt als weitere Bastion der Gaddafi-Anhänger.

Nach Angaben des Übergangsrates sind mehr als 50 000 Häftlinge spurlos verschwunden. Der Rat hofft, dass die meisten von ihnen noch leben. Diese Gefangenen würden möglicherweise in unterirdischen Bunkeranlagen festgehalten, sagte ein Sprecher. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erhob schwere Vorwürfe gegen Gaddafi-Leute. Es gebe Beweise für willkürliche Hinrichtungen von Häftlingen, als die Rebellen in Tripolis einrückten. Gaddafis Gefolgsleute hätten außerdem selbst medizinisches Personal getötet. Auch in Krankenhäusern waren zahlreiche Leichen entdeckt worden.

Ein Sprecher der Übergangsregierung appellierte in Tripolis nochmals an deren Anhänger, keine Rache zu nehmen. Gleichzeitig rief er alle Einwohner der Stadt dazu auf, sich am Wiederaufbau zu beteiligen. Die Versorgungslage in der Millionenmetropole bleibt kritisch. Die Lebensmittelgeschäfte hätten am Montag wieder geöffnet, die Regale seien aber meist leer, berichtete eine Al-Dschasira-Reporterin. Zudem fließe aus den meisten Hähnen kein Wasser, Strom gebe es nur zeitweise. Der Übergangsrat räumte eine Versorgungskrise in der Hauptstadt ein. Sprecher Ben Ali sagte, alle im Ausland arbeitenden libyschen Ärzte seien aufgefordert, sofort in ihre Heimat zurückzukehren.

Die EU-Kommission eröffnete ein Büro für humanitäre Hilfe in Tripolis. Nach Mitteilung der Kommission vom Montag in Brüssel soll das Büro dafür sorgen, dass die Hilfe der EU rasch an die richtigen Empfänger gerät.

Die EU hat zunächst zehn Millionen Euro für Soforthilfe in Libyen – vor allem Nahrung, medizinische Güter und Trinkwasser – bereit gestellt. Die für humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa forderte alle Seiten des Konflikts in Libyen zum Verzicht auf Vergeltungsmaßnahmen und zur Achtung des humanitären Völkerrechts auf.

Unterdessen nahm ein zweites von der Internationalen Organisation für Migration gechartertes Flüchtlingsschiff in Tripolis 850 Menschen an Bord, um sie in der Hafenstadt Bengasi in Sicherheit zu bringen. Es handele sich um Ausländer unter anderem aus Ägypten, den Philippinen, Libanon, Marokko, Irak und der Ukraine. Inzwischen kehren viele Libyer, die nach Tunesien geflohen waren, in ihre Heimat zurück. Anders als in der vergangenen Woche, als täglich Hunderte von Familien über den Grenzübergang Wassan nach Tunesien gefahren waren, bildeten sich nun Warteschlangen in der anderen Richtung.

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