Zwangsbesuche in der Botschaft
Afrikanische Flüchtlinge befürchten Vorbereitungen zu ihrer Abschiebung
Eigentlich wäre Salomon Wantchoucou froh, wenn er nach Berlin reisen könnte. Denn der Flüchtling aus dem afrikanischen Benin wurde von den Ausländerbehörden dem Örtchen Möhlau bei Wittenberg in Sachsen-Anhalt zugeteilt. Weil für ihn die Residenzpflicht gilt, darf er Berlin nur dann besuchen, wenn es die zuständige Ausländerbehörde erlaubt. Die wiederum beorderte Wantchoucou für Mittwoch zu einer Berlinreise, auf die er gerne verzichtet hätte. Gemeinsam mit zehn weiteren Flüchtlingen musste er gestern an einer Botschaftsanhörung teilnehmen. Die Sammelvorführung wurde von der Ausländerbehörde von Gräfenhainichen im Landkreis Wittenberg angeordnet. Damit solle die Identität der Flüchtlinge festgestellt werden, so die Begründung der Behörde.
Heftige Kritik an der Massenvorführung übten Flüchtlingsorganisationen. Salomon Wantchoucou sei schon mehrmals zu Botschaftsanhörungen geladen worden. Dabei sei seine Identität überhaupt nicht strittig. Er sei immer offen damit umgegangen. So sei den Behörden bekannt, dass Wantchoucou 2001 aus Benin geflohen ist, nachdem bei Protesten gegen die Regierung gezielt auf ihn geschossen wurde. Eine Kugel in seiner Schulter konnte erst in Deutschland entfernt werden. Wantchoucou habe bereits im letzten Jahr eine Kopie seiner Geburtsurkunde bei der Ausländerbehörde des Wittenberger Landkreises eingereicht. Die Erregung seiner Unterstützer ist nachvollziehbar. Der Afrikaner setzt sich als Sprecher der Flüchtlingsinitiative Möhlau/Wittenberg gegen Residenzpflicht und schlechte Wohn- und Lebensverhältnisse der Flüchtlinge ein.
Auch andere von der Botschaftsanhörung am Mittwoch betroffene Flüchtlinge hätten schon vor Jahren ihre Identität durch Dokumente oder Kopien nachgewiesen, beteuert ein Sprecher der Flüchtlingsinitiative No Lager aus Halle. Sie hatte eine Faxkampagne initiiert, mit der die Ausländerbehörden aufgefordert wurden, den Flüchtlingen eine gesicherte Aufenthaltsperspektive zu ermöglichen, statt sie immer wieder durch Sammelanhörungen besonderem Stress auszusetzen.
Die Flüchtlinge bezeichnen diese verordneten Termine in den Botschaften der Länder, aus denen sie geflohen sind, als Abschiebeanhörungen. Sie befürchten, dass damit die bürokratischen Vorbereitungen getroffen werden sollen, um sie in ihre Herkunftsländer zurückführen zu können. »Diese Angst ist verständlich, schließlich leben die Flüchtlinge jahrelang mit einem unsicheren Status in Deutschland. Sie haben immer wieder erlebt, wie Freunde und Nachbarn, die oft seit Jahren in Deutschland lebten, abgeschoben wurden«, so der Hallenser No-Lager-Aktivist. Die Initiative fordert seit Jahren die Abschaffung aller Sondergesetze für Flüchtlinge, an erster Stelle die Abschaffung von Heimunterbringung und Residenzpflicht. Dann könnte Salomon Wantchoucou nach Berlin fahren, auch ohne an einer Botschaftsanhörung teilzunehmen zu müssen.
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