Es knirscht in der Stuttgarter Koalition
SPD kungelt mit Oppositionspartei CDU
In der grün-roten Koalition in Baden-Württemberg brodelt es. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist sauer auf Juniorpartner SPD. Der will gemeinsam mit der CDU für Stuttgart 21 werben.
Kaum ist die politische Sommerpause in Baden-Württemberg vorbei, dreht sich – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – alles wieder um Stuttgart 21. Damit die Volksabstimmung über den Untertagebahnhof stattfinden kann, muss der Landtag als ersten Schritt heute ein Gesetz zum Ausstieg des Landes aus der Finanzierung ablehnen. Im Koalitionsvertrag haben Grüne und SPD ausgemacht, wie es gehen soll: Der Landtag lässt mit seiner Mehrheit der Pro-S 21-Parteien aus CDU, SPD und FDP ein Gesetz durchfallen, das den Ausstieg des Landes aus der Mitfinanzierung (824 Millionen Euro) von Stuttgart 21 vorsieht. Dann kann das Gesetz den 7,5 Millionen wahlberechtigten Baden-Württembergern zur Abstimmung vorgelegt werden. Soweit dürfte alles planmäßig verlaufen, zumal nach der CDU nun auch die FDP verkündet hat, doch nicht gerichtlich gegen den Volksentscheid vorgehen zu wollen.
Nach der heutigen Landtagssitzung dürfte es dann paradox werden: Die Koalitionspartner machen bis zum Tag der Volksabstimmung am 27. November gegeneinander Wahlkampf. Die Grünen werden für den Ausstieg des Landes aus dem 4,1 Milliarden Euro teuren Projekt werben, in der Hoffnung, dass Stuttgart 21 dann für die Bahn unwirtschaftlich wird und sie ihre Pläne aufgibt. Der Juniorpartner SPD wirbt fürs Gegenteil. Als wäre dies nicht schon schwierig genug für die Regierungspartnerschaft, hat die SPD-Fraktion nun noch eins drauf gesetzt. Ihr Vorsitzender Claus Schmiedel traf sich Anfang der Woche mit seinem CDU-Kollegen Peter Hauk, um danach lächelnd vor den Fernsehkameras zu verkünden, man wolle zur Volksabstimmung gemeinsam für Stuttgart 21 eintreten.
Ministerpräsident Kretschmann fand klare Worte. Deutlich angefressen erklärte der 63-Jährige: »Es gibt klare Grenzen. Es kann kein Bündnis eines Koalitionspartners mit einer Oppositionsfraktion geben.« Sein 25 Jahre jüngerer Vize Nils Schmid (SPD) saß daneben und schaute noch ausdruckloser als gewöhnlich in die Runde. Der Wirtschaftsminister und SPD-Landesvorsitzende erklärte, seine Partei werde einem Pro-S 21-Bündnis nicht »formal als Partei beitreten«, sagte er. Es gehe vielmehr »um ein gesellschaftliches Bündnis«, an dem sich auch Sozialdemokraten beteiligen würden.
Die Grünen müssen solche Treffen von SPD und CDU als Drohung begreifen, da rein rechnerisch diese beiden Parteien die Regierung stellen könnten. Dass die Grünen mit der CDU koalieren, ist dagegen derzeit ausgeschlossen, das würde die grüne Basis kaum mittragen. Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) warnte in der Online-Zeitung »Kontext« schon vor einem Auseinanderbrechen der Koalition. Und sei der Bahnhof noch so wichtig, das sei er nicht wert, befand der Minister, der zu den wenigen SPD-Promis gehört, die gegen den Tiefbahnhof sind. Grüne und SPD verabredeten unterdessen einen Verhaltenskodex für den kommenden Wahlkampf, um die nächsten Wochen unbeschadet zu überstehen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.