Evo Morales kommt Indigenen entgegen
Boliviens Linksregierung kündigt neue Konsultationen für Straßenbau durch Schutzgebiet an
Die neue bolivianische Verfassung räumt indigenen Völkern Autonomierechte und Mitsprache bei Infrastrukturprojekten ein. Exakt darauf pochen die Yuracaré, Trinitario und Chimane in Bezug auf Boliviens derzeit umstrittenstes Infrastrukturprojekt, den Bau des 177 Kilometer langen Teilstücks einer Fernstraße durch das »Indigene Territorium Nationalpark Isiboro Sécure« (TIPNIS).
Seit Juni hält der Protest gegen den Bau die regierende Bewegung zum Sozialismus (MAS) in Atem. Eine bunte Allianz aus Straßenbau-Gegnern unter Leitung des Tiefland-Indigenen-Verbandes CIDOB befindet sich seit 15. August auf einem Protestmarsch gen Hauptstadt. Umweltverbände und Nichtregierungsorganisationen warnen vor möglichen Folgen der Verbindungsstraße zwischen Anden und Amazonas, deren Pläne seit Jahrzehnten in den Schubladen liegen. Abholzung, illegale Besiedlung und Verdrängung indigener Gemeinden im 1,2 Millionen Hektar weiten Schutzareal seien der »Todesstoß für TIPNIS«, beklagen die Demonstranten und fordern ein Ende des Projekts.
Boliviens Präsident Evo Morales hat nun öffentlichen Konsultationen zugestimmt, nachdem er sich vergangenen Freitag mit 500 Bewohnern im TIPNIS getroffen hatte. »Auf Grundlage nationaler und internationaler Normen« sowie unter Beisein internationaler Organismen werde er versuchen, den Beratungen mit allen 69 Gemeinden persönlich beizuwohnen, sagte das Staatsoberhaupt auf einer Pressekonferenz in der Ortschaft Santo Domingo im Tiefland-Departamento Beni.
Doch längst nicht mehr geht es im TIPNIS-Konflikt allein um Waldschutz und Indigenen-Rechte. Dankbar hat sich das Oppositionslager des »grünen Protestmarsches« angenommen, eine Steilvorlage für MAS-kritische Berichterstattung. Morales als »exkludierender Führer« im Stile eines »autoritären Inka« würde mit seinem »anachronistischen Entwicklungsgeist« einen nationalen Konflikt heraufbeschwören und »Indigene gegen Indigene« aufbringen, zündelte Expräsident Carlos Mesa in der spanischen Tageszeitung »El País«. Auch in heimischen Medien spielt der Historiker mit der jahrhundertealten Rivalität zwischen Anden und Amazonas. Der Protest gegen den Straßenbau sei Beleg dafür, dass die regierenden Hochland-Ethnien Aymara und Quechua durch »hegemoniale Macht« ihre »andine Logik« ohne Rücksicht »durchpeitschen« würden.
Vizepräsident Álvaro García Linera vermutet hinter dem Protestmarsch darum andere Motive. »Ich glaube, sie wollen eine Partei gründen«, hält der Soziologe den Organisatoren ein Spiel mit falschen Karten vor. Statt die Frage des Infrastrukturprogramms zu politisieren, fordert er eine »echte Diskussion«.
Die Behörde für Wald und Land (ABT) warnt seit Langem vor der Zerstörung des TIPNIS, wo über 100 Exportfirmen massiv abholzen. »Für uns ist es unverständlich, wenn von indigenen Autonomien gesprochen wird«, äußerte sich ABT-Chef Clíver Rocha zum illegalen Holzeinschlag in dem Schutzgebiet für Indigene und Natur. »Wir beobachten, dass indigene Gebiete durch diese Industrie zwangsentsiedelt und die eigentlichen Eigentümer wie zu Kolonialzeiten zu Hilfsarbeitern degradiert werden«, klagte Rocha.
Von den ABT-Posten in Cochabamba bis zu den Schmuggler-Transportrouten auf den Flüssen »muss der gesamte TIPNIS durchquert werden«, beklagt Rocha das Fehlen von Straßen für eine bessere Kontrolle. Angesichts dieser Argumente scheint die Stimmung weiter zugunsten des Straßenbaus zu kippen. Jüngste landesweite Umfragen ergeben eine Mehrheit für die Straße, zumal nur zehn TIPNIS-Gemeinden am Protestmarsch teilnehmen.
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