Börsen-Bulle von Polizei geschützt
Linke Gegner des Finanzkapitalismus scheitern mit symbolischer Besetzung der Wall Street
»Leute, wir sollten die Wall Street besetzen«, hatte das linke Online-Magazin »Adbusters« vor ein paar Wochen geschrieben. Ein konkreter Aufruf war das eigentlich nicht, doch im Internet weiß man nie. Die Idee verbreitete sich zuerst über Seiten und Foren, die mit der Anonymous-Gruppe assoziiert werden, und dann auch über Facebook und Twitter. Und so fanden sich am vergangenen Wochenende gut 1000 Demonstranten im New Yorker Finanzdistrikt zusammen, um ihren Zorn gegen Korruption, spekulative Finanzwirtschaft und wachsende soziale Ungleichheit zu artikulieren.
Es war das erste Mal, dass die neue Generation der Unzufriedenen vom extrem linken Spektrum in den USA aus der Unsichtbarkeit des Netzes auftauchten und sich in der analogen Welt manifestierten. Die jungen Demonstranten verwandelten den kalten Betonplatz vor dem Hautquartier der Chase Manhattan Bank in ein riesiges Sit-In. Es wurde engagiert über Ziele und Methoden debattiert, man versuchte sich zu einer Bewegung zu formieren. Ein Hauch von arabischem Frühling wehte durch das untere Manhattan.
Dabei gingen die Meinungen darüber. Ein junger Mann mit Springerstiefeln und Palästinensertuch sagte, man dürfe bis auf das vage Ziel des Wandels gar keine konkreten Forderungen stellen, um nicht die konservative Rechte gegen sich aufzubringen. Eine Studentin mit weißer Rose im Haar fand, man müsse daran arbeiten, dem Rest Amerikas verständlich zu machen, warum man so zornig sei. Ein Dritter forderte konkrete Aktionen und rief dazu auf, den Bronzebullen in der Wall Street abzumontieren, der den Finanzkapitalismus symbolisiere.
Schließlich ergriffen die »Jungen Sozialdemokraten Amerikas« die Initiative und begannen einen Marsch in Richtung Wall Street. Jedoch hatte die Polizei mit einem massiven Aufgebot die Gegend abgeriegelt, um die Börse sowie den Bullen zu beschützen. Dabei hatte Bürgermeister Michael Bloomberg noch am Vormittag bekannt gegeben, dass in New York jeder Bürgerprotest hoch willkommen sei.
Die digitalen Revolutionäre blieben jedoch bei ihrer Vorgabe, die Konfrontation zu vermeiden, und hielten sich an die von der Polizei vorgegebene Marschroute. Zu einem kurzen angespannten Moment kam es nur, als die Demonstranten am Edelrestaurant Cipriani vorbei kamen, wo auf einem Balkon eine vornehme Gesellschaft in Abendgarderobe feierte. Die Demonstranten skandierten »Zahlt Euren Anteil« und »Eure Tage sind gezählt« und ernteten dafür den Spott der Feiernden.
Am Abend richtete man sich wieder auf der Chase Plaza ein. Es wurden Erdnussbutterbrote geschmiert und weitere Strategiedebatten geführt. Der Konsens war, sich hier im Herzen des amerikanischen Finanzkapitalismus einzurichten und über die nächsten Tage durch friedlichen zivilen Ungehorsam Störungen zu verursachen.
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