Land und Leute in der Kreide

Private Miese von 25 000 Euro je Bundesbürger tragen zur Staatsschuldenkrise mit bei

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Statistische Bundesamt hat die Verbindlichkeit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen nach den Vorgaben der Europäischen Union neu zusammengezählt und anschließend die mehr als zwei Billionen Euro Miese auf alle Bundesbürger umgelegt.

Jeder Leser des Neuen Deutschlands schultert eine öffentliche Schuldenlast von rund 25 000 Euro. Das überrascht Sie? Nun, Nach dieser Neuberechnung erfüllt die Bundesrepublik die Eurokriterien (»Maastricht«) von 60 Prozent noch weniger als bislang schon bekannt: Deutschlands öffentliche Schulden liegen nun bei 82,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Doch decken selbst diese neuen Zahlen nur einen Teil der Wahrheit auf. So fehlen die privaten Schulden.

Vor einem Jahr war der italienische Finanzminister und Rechtswissenschaftler Giulio Tremonti mit seinem Plan vorgeprescht, private Schulden bei der Eurodiskussion zu berücksichtigen. Sein Kernargument: Die Finanzkrise sei von übergroßen Privatschulden ausgelöst worden. Aus diesem Blickwinkel sei Italien durchaus solide aufgestellt, argumentierte der Minister. Zwar sei der Staat mit 120 Prozent des BIP relativ hoch verschuldet, doch auf der Apenninhalbinsel seien die Schulden der privaten Haushalte mit 220 Prozent des BIP vergleichsweise niedrig; viel niedriger jedenfalls als in Ländern wie Irland (890 Prozent) oder Großbritannien (460 Prozent).

Das Kalkül von Ministerpräsident Berlusconi lautetet damals: Wenn die anderen Mitgliedsländer zuließen, dass sich Italien auf die Klausel mit den Privatschulden beruft, könnten die italienischen Schatzminister künftig einschneidende Sparprogramme für einen Abbau des Schuldenberges vermeiden, Tremonti veröffentlichte dann in seinem mittelfristigen Finanzplan bis 2013 sogar erstmals Tabellen über öffentliche plus private Schulden der EU-Länder. Nach dieser Statistik kommt Italien auf eine Gesamtsumme der Verschuldung von öffentlicher Hand, privaten Haushalten, Unternehmen und Banken von 340 Prozent des BIP, die Niederlande auf 680 Prozent und Deutschland auf 290 Prozent.

Bald wurde diese europapolitische Finte von den Finanzmarktakteuren überrollt. Und Tremonti war seither überwiegend damit beschäftigt, das milliardenschwere Sparpaket zu schnüren und bereitet Italien nun auf noch weitere Sparmaßnahmen vor. Weniger richtig (oder falsch) ist seine Argumentation deshalb jedoch nicht. So rechnet bei ihren Analysen auch die Hypovereinsbank, eine Tochtergesellschaft der Mailänder Unicredit-Gruppe, die Schulden von Staat, Privaten und Unternehmen für einzelne Länder zusammen. Obacht! Spanien liegt dann gleich auf mit den offiziellen Eurokrisenländern Irland, Griechenland, Portugal. Dagegen ruht Italien im gesicherten Mittelfeld der Europäischen Wirtschaftsunion; Frankreich und Deutschland schneiden besser ab als der Durchschnitt.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). In den vergangenen drei Jahrzehnten sind in den Industrieländern nicht allein die öffentlichen, sondern auch die privaten Schulden kräftig nach oben geklettert. Im Ergebnis seit 1980 bis 2010 von 170 auf 310 Prozent des BIP. In diesen Tenor stimmen auch die Wissenschaftler des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) mit ein. Private Schulden müssten mitgezählt werden, wenn der europäische Stabilitätspakt zukunftsfähig reformiert werden soll.

Die BIZ-Autoren machen für die steigenden Privatschulden unter anderem die Liberalisierung der Finanzmärkte verantwortlich. Banken konnten dadurch ihren Kunden einen leichteren, wenn nicht leichtsinnigen Zugang zu Krediten verschaffen. »Eine klare Schlussfolgerung lautet«, so die Zentralbank der Zentralbanken BIZ, »dass die Schuldenprobleme, mit denen sich die Industrienationen auseinanderzusetzen haben, noch schlimmer sind als befürchtet.«


Schulden

  • 2010 standen Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung mit Krediten für 2,035 Billionen Euro in der Kreide.
  • Allein für den Bund summieren sich die Schulden pro Bürger auf 16 048 Euro. Für die Länder trägt jeder Einwohner 7339 und für die Gemeinden 1628 Euro.
  • Die Schulden des Bundes stiegen um 25,5 Prozent auf 1,3 Billionen Euro, vor allem wegen der Auslagerung von Risikopapieren der Immobilienbank Hypo Real Estate.
  • Den höchsten Zuwachs verzeichnet Nordrhein-Westfalen wegen der Stützung der WestLB.

dpa/ND

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