»Wenn jemand viel Geld verspricht ...«

Liberia kämpft gegen das kriminelle Geschäft mit Adoptionen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 7 Min.
Arbeit, Prostitution, Adoption: Der internationale Kinderhandel ist nach wie vor ein Milliardengeschäft, und die Staaten Westafrikas sind einer seiner Hauptschauplätze. In Liberia macht nun die Regierung mobil, so gut es eben geht in einem Land, dessen Strukturen durch jahrelangen Bürgerkrieg zerstört sind.

John weiß, worum es geht, er war Kindersoldat, bis er ein erwachsener Soldat wurde. Darüber reden will er nicht. »Glauben Sie mir«, sagt der 32-Jährige auf Englisch, »es gibt nichts, das Menschen sich nicht gegenseitig antun würden.«

Seit Tagen schon warten er und seine Männer, eine Hand immer an der Waffe, im Busch an der Grenze Liberias zu Sierra Leone. Unermüdlich, Tag und Nacht, suchen sie die Umgebung ab, während die Hitze Westafrikas auf sie einbrennt, bis die Uniformen, die bei der Abreise in Monrovia, der Hauptstadt Liberias, noch sorgfältig gereinigt und gebügelt gewesen waren, an ihren Körpern kleben. »Schlafen, Essen sind Nebensache – dieser Krieg ist der Wichtigste, in dem ich jemals gekämpft habe.«

John und seine Männer sind Beamte einer Spezialeinheit der liberianischen Polizei. Deren einziger Auftrag: Der Kampf gegen den Kinderhandel. Es ist ein schwieriger Kampf: Lange Bürgerkriege haben die Strukturen in den Staaten der Region nahezu vollständig zerstört, haben große Teile der Bevölkerung entwurzelt und verarmen lassen. Und noch viel mehr als das: Sie haben etwas geschaffen, was Soziologen als »Kultur der Gewalt« bezeichnen – mehrere Generationen sind mit der Waffe in der Hand aufgewachsen, haben von Kindesbeinen an gelernt, dass Gewalt das beste Mittel ist sich durchzusetzen.

Und so sind die Länder am westlichen Rand Westafrikas zum idealen Betätigungsfeld für einen Teil der organisierten Kriminalität geworden, den ein Sprecher des internationalen Polizeiverbundes Interpol als »Gelddruckmaschine« bezeichnet: den Kinderhandel. Jahr für Jahr, so die Schätzung Interpols, werden weltweit an die 100 000 Kinder verkauft, um ohne Bezahlung oft lebensgefährliche Schwerstarbeit zu verrichten oder als Prostituierte zu dienen.

Kinderhandel – Geldquelle im Krieg

Doch am einträglichsten ist etwas, das man nicht sofort dem Kinderhandel oder gar der organisierten Kriminalität zurechnen würde: Adoption. Bis zu 120 Millionen Euro, besagt eine UNO-Schätzung, werden Jahr für Jahr damit umgesetzt, und Liberia war neben Vietnam und Äthiopien eines der Hauptherkunftsländer. Zwischen 500 (schätzen die Vereinten Nationen) und 2000 Kinder (schätzt Liberias Regierung) werden im Jahr ihren Eltern abgekauft und von Paaren im Westen adoptiert. Hinzu kommen die vielen tausend Kinder, die als Zwangsarbeiter missbraucht werden. Genaue Zahlen kennt niemand.

»Während des Bürgerkriegs hat die Regierung die internationale Adoption als Einnahmequelle für sich entdeckt«, sagt Christiana Tah, die in Personalunion Justizministerin und Generalstaatsanwältin Liberias ist. »Die Kinder wurden ihren Eltern weggenommen. Viele wurden zu sogenannten Kindersoldaten, andere wurden in Kinderheime gebracht und dann von Kriminellen, die sich den Anstrich von Hilfsorganisationen gaben, gegen Geld an westliche Paare vermittelt. Dieses System existierte nach dem Ende des Krieges weiter – nur dass die leiblichen Eltern nun dafür bezahlt werden.«

Denn im Westen ist der Bedarf an Adoptivkindern groß: Bewerber müssen hohe Anforderungen erfüllen, an denen viele scheitern. Manche sehen sich deshalb in Ländern um, die diese Bedingungen nicht stellen. Der Preis für ein Kind: Umgerechnet maximal 50 Euro, realistischer sind zehn oder 20. »Für die Leute hier ist das eine Menge Geld«, sagt John. Die meisten Liberianer haben weniger als einen Euro am Tag zum Leben. »Sie sind arm, und wenn jemand kommt und so viel Geld verspricht, dann macht man das.« Seine Hand greift zum Fernglas, seine Kameraden richten sich auf: In der Ferne nähert sich etwas, das aussieht wie ein Lastwagen.

Man kann nicht seine Zukunft verkaufen

Noch vor drei Jahren agierten die Kinderhändler völlig offen in Liberia. Der Anstrich humanitärer Organisationen, den sie sich geben, sei vor allem für die Eltern da, vermutet Ministerin Tah: »Man müsste schon sehr abgebrüht sein, um sich offen ein Kind zu kaufen – die Leute möchten gerne glauben, dass sie eine gute Tat vollbringen.«

Eine gute Tat? Die Menschen sind arm, die Kinder oft fehl- oder mangelernährt, der nächste Bürgerkrieg kann morgen schon ausbrechen. Ist es keine gute Tat, wenigstens einem dieser Kinder ein neues Zuhause in einem sicheren Land zu geben? »Nein, nein, nein«, sagt Ellen Sirleaf Johnson, die seit 2005 Präsidentin Liberias ist, und schlägt mit der Handfläche auf den Schreibtisch: »Diese Kinder haben Eltern, und wenn sie keine Eltern haben, dann haben sie Verwandte. Ja, unser Land hat Probleme, aber diese Kinder sind unsere Zukunft. Wenn einem die Kinder wirklich am Herzen liegen, dann soll er uns das Geld lieber schicken, damit wir Schulen bauen und Lehrer ausbilden können. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat doch auch niemand gesagt, dass europäische Kinder besser in den USA leben sollten, weil es dort sicherer ist.«

Der »Krieg gegen den Kinderhandel« sei ein Kampf für die Zukunft, sagt sie. Dafür hat ihre Regierung Reformen umgesetzt, die für einen Staat, in dem es noch vor zehn Jahren kaum eine funktionierende Struktur gab, beeindruckend sind: Seit Anfang 2009 dürfen in Liberia Ausländer kein Kind mehr adoptieren, wenn kein Verwandtschaftsverhältnis nachgewiesen ist. Außerdem dürfen liberianische Kinder das Land nur noch verlassen, wenn sie von einem Erziehungsberechtigten begleitet werden und eine Genehmigung haben. Beides wird von einem Regierungsausschuss geprüft; das letzte Wort haben ausschließlich Ellen Johnson und Tah. »Leider ist Liberia nach wie vor ein sehr korruptes Land«, erläutert Frau Tah. »Immer wieder kommt es vor, dass Menschen Adoptionsurkunden verkauft werden. Jede ausländische Behörde soll aber sofort erkennen können, dass solche Urkunden niemals echt sind.«

Aber am wichtigesten sei die Aufklärung, sagt Tah: »Viele Menschen, die ihre Kinder verkaufen, glauben, dass sie ihre Kinder wiedersehen werden, dass ihre Kinder sie vom Ausland aus unterstützen und so der Familie ein besseres Leben ermöglichen werden.« Durch Informationskampagnen versucht die Regierung, der Bevölkerung zu vermitteln, dass das nicht der Fall ist.«

Die Reformen haben aber auch erreicht, dass die Menschenhändler nun im Verborgenen handeln. Deshalb wurde in Liberia die Spezialeinheit der Polizei ins Leben gerufen, der auch John und seine Kameraden angehören: ein Team aus »handverlesenen« Männern und Frauen, dessen Größe ebenso wie die Namen seiner Angehörigen ein Geheimnis ist. Ihre Aufgabe ist es, Hintermänner zu ermitteln und Kindertransporte abzufangen – ein gefährlicher Job, bei dem es immer wieder Tote gibt, wie John berichtet.

Denn die Schmuggler finden immer neue Wege, die Kinder ins Ausland zu bringen. Und sie verteidigen sie auch mit Gewalt. Dabei kommt ihnen zugute, dass es in den Nachbarstaaten Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) und Sierra Leone an Problembewusstsein, und im Fall von Côte d'Ivoire an staatlichen Strukturen mangelt. Wurden die Kinder früher mit der Adoptionsurkunde eines liberianischen Gerichts versehen und in Begleitung der neuen Eltern einfach über den Flughafen in Monrovia ausgeflogen, so ist dem heute ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben.

Die Folge ist alllerdings, dass die Kinder heute auf eine oft wochenlange Odyssee durch Westafrika geschickt werden, bis kaum noch jemand weiß, woher sie kommen – selbst erklären können sie es nie: Weil sie die Sprachen der Länder, durch die sie geschleust werden, nicht beherrschen. Weil sie oft den Namen ihres Herkunftslandes nicht kennen. In solchen Fällen ist es auch für Behörden, die es genau nehmen, schwierig, die Herkunft dieser Kinder festzustellen.

Für die Polizei ist es ein Kampf gegen Windmühlen, denn die Grenze ist schwer zu überwachen. Die Menschenhändler haben sich zudem in Côte d'Ivoire einen neuen Markt erschlossen, seit in Liberia immer weniger Eltern bereit sind, ihr Kind zu verkaufen.

»Es wäre so viel leichter, erfolgreich zu sein, wenn unsere Nachbarländer auch etwas unternehmen würden«, sagt John: »Wir sind zu wenige, um überall zu sein, und sobald die Schmuggler an uns vorbei sind, haben sie freie Bahn.«

Es war tatsächlich ein Lastwagen der sich da genähert hat, doch dieses Mal war es falscher Alarm. »Auch gut«, sagt John, »wir warten weiter. Der nächste Transport wird kommen, leider.«

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