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Wenig Trost und viel Mirabellenlikör
Michael Hametner präsentiert die besten Kurzgeschichten aus dem MDR-Literaturwettbewerb 2011
Die Anthologie stellt die besten Geschichten aus dem diesjährigen (nunmehr 16.) MDR-Literaturwettbewerb vor. Sie enthält die Short Storys der Preisträger und aller Finalisten. Neun Juroren haben aus 2000 Einsendungen ausgewählt und sich damit einer immensen Arbeit unterzogen. Selbst dem Leser dieser 25 Geschichten gelingt es kaum, hier wiederum die besten herauszufischen. Das Urteil bleibt immer auch subjektiv. Fast alle hier versammelten Erzählungen erfüllen die Kriterien der »handwerklich anspruchsvollen kleinen Form« (Michael Hametner): Knappheit der Sprache und durchgängige Spannung. Fast alle lassen den Leser thematisch nicht unberührt. Im Gegenteil: Es gibt einige – ich nenne hier vor allem Björn SC Deigners »Oktoberschnee« –, die so überraschend hart enden, dass man erst einmal durchatmen muss, bevor man sich in das »Abenteuer« der nächsten Geschichte stürzt.
Der Herausgeber weist darauf hin, dass im Laufe der Wettbewerbsjahre immer wieder unterschiedliche Hauptthemen in den Vordergrund getreten sind. Das verdeutlicht die emotionale Engagiertheit der (zumeist) jungen Schreibenden. In diesem Jahr ist das Thema vor allem die Familie. Die wird als defizitär erlebt und beschrieben. Es ist die »intakte, schützende, helfende, Liebe und Geborgenheit schenkende ... Familie«, die einige Autoren beschwören, »als würde sie dringend gesucht« (Hametner). Ein Musterbeispiel dafür ist die Erzählung »Rabenkinder« von Simone Kanter. In einer bitteren Parabel stellt sie das Zerbrechen der Familie und deren Wandel zu einer »Federviehfamilie« durch äußere soziale Zwänge dar. Alle haben schließlich gestutzte Flügel, Blessuren, Phantomschmerzen, und das ist das Fazit: »Es kommt keine Erlösung.«
Einsamkeit ist eins der damit verbundenen Phänomene. Erlösung von Einsamkeit findet auch das Mädchen in einem kasachischen Kinderheim in Eleonora Hummels Erzählung »Der Storch unter der Decke« nicht. Auf dem Fensterbrett, dem »Ort der Wünsche«, sitzt das Kind und wartet vergeblich auf die Mutter, obwohl es weiß, dass die nie kommen wird. Noch weiter, über individuelle Lebenskatastrophen hinaus, geht Stefan Petermanns Erzählung »/jwatch?v=Rle9aVknnzb&«. Nach der Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg führt die mediale Suche nach einer jungen Frau am Ende zur völligen Auslöschung letzten Gedenkens.
Nirgendwo also ein Happy End? Aber so möchte man es nun doch nicht stehen lassen. Rolf Schwob erzählt in »Viernull« von dem Spastiker Andy, der im Pfleger Matze liebevollen Familienersatz findet. Erwähnt sei – bei allem subjektiven Urteilen – auch noch die für mich schönste Geschichte. Sie heißt »verwildert«. Mónika Koncz erzählt darin von einem alten Mann in einem Dorf in Ungarn. Er wird von seiner in Deutschland lebenden Familie besucht. Dem Großvater ist die Frau gestorben, und er tröstet sich über den Verlust mit Schachspiel und sehr viel Mirabellenlikör hinweg. Nichts, aber auch gar nichts, kann ihn aus seiner zerfallenden Hütte in den fernen Wohlstand weglocken. So glücklich können eben auch Geschichten und mit ihnen Leben enden.
Michael Hametner (Hrsg.): Happy End. Die besten Geschichten aus dem MDR-Literaturwettbewerb 2011. Verlag Neues Leben. 176 S., brosch., 9,95 €.
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