»Wir sind noch nicht zufrieden«
Kampagnensprecher Jörg Alt kämpft schon seit 2009 für eine Finanztransaktionssteuer
ND: Herr Alt, seit zwei Jahren koordinieren sie eine zivilgesellschaftliche Kampagne kirchlicher, gewerkschaftlicher und entwicklungspolitischer Organisationen für eine Finanztransaktionssteuer, jetzt will die EU-Kommission sie einführen. Wie konnten Sie so schnell so viel Erfolg haben?
Alt: Wir sind erstens mit unserer Kampagne in die richtige Zeit geraten. 2009, als wir begonnen haben, war für viele Bürger das Gerechtigkeitsproblem mit den Händen zu greifen, weil die Banken und Geldhäuser, die die Krise verursacht haben, keinen Beitrag zu ihrer Lösung leisteten. Da lag teilweise richtig Wut in der Luft und eine Transaktionssteuer schien vielen Bürgern eine machbare, gute Idee, für die man auch Unterstützer jenseits der »üblichen Verdächtigen« finden konnte. Zweitens gab es mit der Forderung nach einer »Tobin Tax«, die seit den späten 1990ern von Bewegungen wie Attac vertreten wird, gewissermaßen Vorarbeiten, auf denen man aufbauen konnte – auch wenn die Transaktionssteuer, die sich nicht nur auf Devisenhandel, sondern auch auf Aktien, Derivate und so weiter erstreckt, viel weiter reicht als die »Tobin-Tax«. Und drittens brauchen die Regierungen jetzt einfach Geld, weswegen sie mit einer gewissen Dankbarkeit den Weg einschlagen, den wir aufgezeigt haben.
Ist Ihnen Letzteres nicht ein wenig unheimlich?
Wieso? Die Situation gibt uns die Möglichkeit, mit noch mehr Nachdruck für unser Kampagnenziel zu werben. Wir sagen auch, dass wir mit dem Vorschlag der EU-Kommission noch nicht zufrieden sind.
Inwiefern?
Einmal kritisieren wir die jetzt angedachten Steuersätze. Sie liegen bei 0,1 und 0,01 Prozent, der letzte Satz soll für Derivate gelten, was aus unserer Sicht viel zu niedrig ist. Wir dagegen wollen einen einheitlichen Steuersatz von 0,05 Prozent, ganz egal, womit gehandelt wird. Wenn man anfängt, verschiedene Steuersätze festzulegen, wird es schnell kompliziert und die Suche nach Schlupflöchern beginnt. Und dann gibt es natürlich die Frage der Verwendung der Mittel ...
...die EU-Kommission geht von etwa 55 Milliarden Euro im Jahr aus ...
Wir wollen nicht, dass das einfach in den Staatshaushalten verschwindet, sondern dass Einnahmen aus einer Transaktionssteuer für die weltweite und nationale Bekämpfung von Armut sowie der Folgen des Klimawandels genutzt werden. Auch das erfährt viel Zuspruch in der Zivilgesellschaft – und es gibt Verbündete: Frankreich hat sich z.B. in diese Richtung geäußert, und auch die EU-Kommission schließt nicht aus, dass Teile der Einnahmen für Verpflichtungen im Bereich Entwicklung und Umwelt verwendet werden können.
Wenn eine solche Steuer erhoben würde, und sei es nur im Euro-Raum ohne Großbritannien, wäre das die erste eigenständige Steuer der EU selbst. Ein Schritt in Richtung einer europäischen Wirtschaftspolitik, die jetzt als Pendant zum Euro gefordert wird?
Was doch nur zu begrüßen wäre! Wir stehen im Prinzip vor der Frage, ob die Nationalstaaten ihre Handlungsfähigkeit an die sogenannten Märkte verlieren oder in Teilen an die Europäische Union abgeben, die eine stärkere Bastion sein kann als jeder Staat für sich allein. Natürlich muss sich die Union analog zu ihrer Vertiefung demokratisieren. Auch das ist übrigens eine Forderung, für die ich breite gesellschaftliche Mehrheiten sehe.
Fragen: Velten Schäfer
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