Streit mit zwei Gewinnern
Das Arbeitsgericht Bonn bietet eine neue Art, Konflikte zu lösen: durch Mediation
Das sind ungewohnte Töne: Vor Gericht geht es nicht mehr um erbitterte Kämpfe, um Rechthaberei und ein ängstlich erwartetes Urteil, sondern um einen friedlich beigelegten Konflikt. Beide Seiten haben daran mitgewirkt, keine muss sich als Verlierer sehen. Möglich macht das ein Verfahren, das allmählich in deutsche Arbeitsprozesse einzieht: die Mediation. Nicht zu verwechseln mit Meditation - auch wenn die Begriffe mit Blick auf das sich Besinnen nicht ganz weit auseinander liegen.
200 Jahre, nachdem kürzlich in Köln das älteste deutsche Arbeitsgericht seine Gründung feierte (siehe ND vom 23. 9. 2011, S. 17), wird seit dem 1. Oktober in dessen Bonner Bezirk der neue Weg getestet. Alle sechs Richterinnen und Richter des dortigen Arbeitsgerichts haben sich - sogar in ihrer Freizeit - in der Mediation ausbilden lassen. Für sie bedeutet das ein klares Umdenken und den Abschied von Paragrafen. Sie fällen keine Urteile mehr, sondern vermitteln zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Beide Parteien kommen ausgiebig zu Wort, können auch verborgene Probleme ansprechen und sehen nicht ausschließlich die eigenen Argumente.
»Während Deutschland bei der Mediation noch in der Steinzeit liegt, hat sie etwa in den USA viel Tradition«, meint Jürgen vom Stein. Als Präsident des Landesarbeitsgerichts Köln hat er das Pilotprojekt angeregt; seine Bonner Kollegen haben es gern aufgegriffen. Wilfried Löhr-Steinhaus, Direktor des dortigen Gerichts, spricht ganz unjuristisch von »Begeisterung«, mit der man das angepackt habe.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Mediationsrichter als neutraler und fairer Mittler begleitet eine Lösung, verordnet sie also nicht als Entscheider von oben. Das setzt auf die gleichberechtigte Mitwirkung aller Seiten. Das Ergebnis ist konstruktiv, autonom und einvernehmlich erarbeitet, ausgerichtet auf Konsens und Nachhaltigkeit. Da Arbeitnehmer und Arbeitgeber daran beteiligt sind, sehen sie ihre Verantwortung dafür, dass der Streitfall ein gutes Ende ohne Verlierer findet. Weitere wichtige Pluspunkte: Obwohl das Gericht für die Mediation wesentlich mehr Zeit benötigt, verlangt es dafür keine Gebühren. Nur die Schlussvereinbarung, das Memorandum, kostet etwas. Oft kann solch ein Verfahren sehr rasch zu Ende kommen. Öffentlichkeit und Presse sind übrigens ausgeschlossen. Vertrauen und Vertraulichkeit spielen eine große Rolle.
Nötig für den neuen Gang ist nur, dass beide Konfliktparteien mit ihm einverstanden sind. »Nur dann wird die Prozessakte an einen Richter als Mediator weitergegeben«, so Löhr-Steinhaus, »und das Gerichtsverfahren zum Ruhen gebracht.« Wie bisher können nicht allein die Betroffenen, sondern auch deren Anwälte daran teilnehmen, von denen einige ebenfalls als Mediatoren ausgebildet sind. Es gibt jedoch auch Anwälte, die diese Tätigkeit skeptisch sehen - wohl aus Sorge, an solchen Fällen weniger zu verdienen. Die Ausbildung (an siebenmal zwei Tagen) ist übrigens auch über die Gewerkschaft ver.di zu absolvieren.
»Viele kreative Ideen haben hier Raum, die in der juristischen Bewertung nicht berücksichtigt werden können«, heißt es beim Arbeitsgericht Bonn. Der Richtermediator ist aufgefordert, Paragrafen und Kommentare einmal beiseite zu lassen und Dinge anzusprechen, die oft auch soziale und psychische Zutaten haben. »Wir müssen über den juristischen Tellerrand hinaussehen«, meint die Bonner Arbeitsrichterin Anne Pilartz.
Für Arbeitsgerichte ist dieser Ansatz deshalb passend, weil es dort zuerst stets Güteverhandlungen gibt und rund 80 Prozent aller Prozesse - oft nach einem richterlichen Vorschlag - mit einem Vergleich enden. Darauf lässt sich aufbauen. Manche große Firmen haben bereits Abteilungen für die interne Bearbeitung von Konflikten. Wie sich das alles entwickelt, wird ein Thema beim Deutschen Mediationstag sein, der am 7. und 8. Oktober an der Universität Jena stattfindet.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.