Aufstieg aus dem Jammertal

Nach dem Zusammenbruch von 2008 rappelt sich der kleine Inselstaat wieder auf

  • André Anwar, Reykjavík 

  • Lesedauer: 4 Min.
Während die Eurokrise Europa bedrängt, rappelt sich Island nach seinem Zusammenbruch von 2008 wieder auf. Die Wirtschaft wächst dank Sparmaßnahmen und der deutlich entwerteten Krone wieder. Der Auftritt auf der Buchmesse Frankfurt kommt damit zur richtigen Zeit.

Das Leben geht weiter. Dieses Motto hat sich den einst superreichen Isländern nach dem einmalig tiefen Fall ihrer Wirtschaft 2008 eingebrannt – eben Bitterkeit und Wut auf die Verantwortlichen. Heute, drei Jahre später, ist die Inselnation wieder auf dem Weg nach oben.

Die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) sagt Island für 2011 ein Wirtschaftswachstum von 2,2 Prozent voraus, 2012 sollen es sogar 2,7 Prozent sein. Doch die Basis ist tief. 2008 war die Wirtschaft um 18,2 Prozent eingebrochen, 2009 nochmals um 9,2 Prozent. Auch im vergangenen Jahr sank die Wirtschaftsleistung erneut um 2,2 Prozent. Vor der Krise war das anders. Da erreichte Island mit 8,3 Prozent im Jahr 2005 Wachstumsraten wie kaum ein anderes westliches Land.

Island hat es selbst während der Krise geschafft, die Arbeitslosigkeit einigermaßen im Griff zu behalten. Vor der Krise betrug sie knapp drei Prozent, 2009 stieg sie auf 7,2 Prozent und 2010 auf 7,6 Prozent. Ein Grund für den verhältnismäßig geringen Anstieg: Viele Gastarbeiter etwa im Bauwesen wurden wieder nach Hause geschickt. Den Rest fingen viele Unternehmen mit Lohnkürzungen auf. Inzwischen fällt die Arbeitslosigkeit wieder. Und selbst die Inflationsrate soll für 2011 mit 2,7 Prozent deutlich unter den 5,4 Prozent vom Vorjahr liegen. Das spüren viele Isländer im eigenen Geldbeutel, weil die weit verbreiteten Privatkredite der Haushalte an die Inflation gekoppelt sind.

Island hat ein Auf und Ab erlebt wie kaum ein anderes westliches Land. Zunächst waren da die scheinbar uneingeschränkten Möglichkeiten während eines goldenen Jahrzehnts. So wurde zu privaten Geburtstagsfesten der Reichen auch mal Elton John eingeflogen. Jeeps mit riesigen Rädern waren fast zur Standardausrüstung vieler Haushalte geworden. Die wöchentlichen Einkaufsflüge der Mittelschicht erfreuten den Einzelhandel in Großbritannien und New York.

Selbstbewusstsein dank starker Krone

Die starke Krone gab den jungen Isländern das Gefühl, im Ausland steinreich zu sein. Sie nutzten es, um Erfahrungen in der weiten Welt zu sammeln. Mit dem Platzen der US-Immobilienblase zeichnete sich das Ende des Traumes ab.
Zunächst wollte niemand darüber reden. Doch 2008 brachen alle drei Großbanken zusammen und wurden zwangsverstaatlicht. Sie hatten hochspekulative Geschäfte betrieben und Reichtum auf Pump ins Land gebracht. Mit den Großbanken brach auch die Wirtschaft zusammen. Die Krone verlor rasant an Wert, die Importe – also fast alle Güter – verteuerten sich. Straßenproteste zwangen die konservative Regierung, die das Land seit der Unabhängigkeit im Zweiten Weltkrieg geprägt hatte, zum Rücktritt. Ex-Regierungschef Geir Haarde wurde wegen unverantwortlicher Entscheidungen vor Gericht gestellt, als weltweit einziger Politiker, der die Finanzkrise mitverschuldet hat.

Nun kommt der Wiederaufstieg schneller als erwartet. »Islands Wiederaufbau beruht auf mehreren Säulen«, sagt Pordur Snaer Juliusson von der Wirtschaftszeitung »Vidskiptabladinu«. »Zunächst haben wir 2008 über ein Notgesetz die Banken zusammenbrechen lassen.« Die Hilfskredite des Internationalen Währungsfonds und skandinavischer Länder hielten das Land flüssig, zwangen es aber zu gewaltigen Einsparungen. »In allen Bereichen wurden alle Posten um bis zu 10 Prozent gekürzt, bei Löhnen im privaten Sektor waren es bis zu 20 Prozent. Gleichzeitig merkten wir in der Not, dass wir etwa im Gesundheitswesen und anderen Bereichen durch Effizienzsteigerungen extrem viel einsparen konnten«, sagt Juliusson.

Eine weitere Säule war der Rentenfonds, aus dem sich Island selbst Geld lieh. Privathaushalten wurde von den Banken oder dem Staat ein Teil ihrer Schulden erlassen. Die Abwertung der Krone nach dem Zusammenbruch verbilligte die Exporte. »Die Fischerei hat uns gerettet. Sie steht wie früher für 30 bis 40 Prozent unserer Einnahmen und die kommen in Auslandswährungen«, so Juliusson.

Die Abwertung der Krone hat auch den Tourismus angekurbelt, der mit 30 Prozent wächst. Heute können sich viel mehr Ausländer leisten, auf die Insel der Vulkane und Geysire zu reisen. Früher hatte schon ein Bier umgerechnet 15 Euro (18 Franken) gekostet. Selbst die Vulkanausbrüche, welche die europäische Luftfahrt für Tage am Boden hielt, haben Island letztlich als exotisches Reiseziel in das Bewusstsein der Reisenden gebracht, glaubt der Tourismusverband.

Von den gesunkenen Kosten profitierten auch die Aluminiumschmelzen, die schon seit Jahrzehnten wegen der preiswerten geothermalen Energie in Island produzieren. Sie gehören vor allem ausländischen Investoren – und die stecken nun frisches Geld ins Land.

Krise treibt Isländer in die Buchläden

Glückliches Island. Aber ein Modell für andere ist es für Juliusson nicht. »Island ist so klein und die Bedingungen sind zu speziell. Das lässt sich nicht übertragen.« Oder vielleicht doch? Die Nordatlantikinsel war nicht reich genug, um ihre Banken zu retten. »Wir hatten einfach nicht das Geld dafür. Die hatten ja zwölf Mal soviel Schulden wie die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung Islands«, meint Juliusson. Man kann Banken also auch fallen lassen. Ganz unberührt bleibt das Land nicht von der Krise in Europa. »Die Mehrheit unserer Exporte geht auf den Kontinent«, sagt er.
Immerhin: Nun kann sich Island in Frankfurt am Main als ein Land präsentieren, das mit der Krise umzugehen gelernt hat. Die Literatur hat dabei geholfen: In der Zeit der Krise ist der Buchhandelsumsatz um 27 Prozent gewachsen.

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