Das Geschäft mit Schmerz und Tod
Marlene Streeruwitz porträtiert eine Frau, die foltern soll
Wäre sie keine Rebellin, würden wir sie trotzdem kennen: Marlene Streeruwitz, 1950 bei Wien geboren, in Wien und Berlin lebend, Dramatikerin, als Erzählerin spät berufen. Seit Mitte der Neunziger hat sie in rascher Folge Prosabücher publiziert, in denen sie ihr Doppelthema beharrlich umkreist – die gefühlte Opferrolle der Frau in der Gesellschaft sowie die Kluft zwischen weiblichem Selbst- und Fremdbild. Zwei Sammelbände benennen den vermuteten Grundkonflikt: »Sein. Und Schein. Und Erscheinen.« sowie »Können. Mögen. Dürfen. Sollen. Wollen. Müssen. Lassen.« (1997/98). Streeruwitz hat eine eigene, eine einzigartige Stimme. Nur leider: Mit ihrem Drang nach Originalität und ihrer Mission steht sich die Erzählerin bisweilen selbst im Weg. Das spürt man auch hier.
Die Protagonistin – Amy Schreiber, 24 – stammt aus komplizierten Verhältnissen; ein Vorfahre war ein berühmter Wiener Künstler, eine Großmutter Jüdin, ein Großvater Nazi, die Mutter drogensüchtig; das Kind lebte bei Pflegeeltern. »Immer war sie die Schmutzige gewesen. Mit einem ungenauen Leben.« Amy ist die ewig Unfertige, das Gegenteil einer Kämpferin, eine, die nie weiß, wo es langgeht, also nie ankommt. Sie trinkt. Wodka. Eine Londoner Tante verschafft ihr einen Ausbildungsplatz: Training in einer Sicherheitsfirma, einer jener Firmen, die an Krisen, Kriegen, an Schmerz und Tod so trefflich verdienen. Amys Team – darunter einige Stasileute – trainiert an der Grenze zwischen Bayern und Tschechien, die Zentrale sitzt in London.
Amy lernt, wie man verhört und foltert, eine künftige Schmerzmacherin, sie will früh gut sein und begreift spät: Gut hieße, richtig böse zu werden. Sie erlebt und erfährt seltsame Dinge, sie fühlt Bedrohung, Bedrängnis, Beklemmung. Besitzt die Tante Anteile der dubiosen Firma? Würde sie am Ende gar verdienen, wenn ihr, Amy, bei einem Einsatz etwas zustieße? Warum verschwinden Bekannte? Warum fehlt ein Tag in Amys Gedächtnis?
Dies ist ein eigentümliches Buch, halb Thriller, halb Pamphlet, und aufklären will es auch. Drei Jahre Vorarbeit stecken im Plot, die Verfasserin hat »dieschmerzmacherinrecherche« auf ihrer Website (www.marlenestreeruwitz.at) dokumentiert. Tagelang könnte man sich in die Linkliste vertiefen; gruselige Lektüre. »Das glaubt frau nicht«, sagte die Autorin im ORF, »was es da an Publikationen gibt, an Vereinigungen«. Man lese »›der detektiv‹ Fachzeitschrift f. d. Sicherheitsgewerbe«, man schaue auf die »Weltkarte der Folter«, man gehe durch die Portale der globalen Dienstleister oder die der lokalen Anbieter (»Jobs Personenschutz Berlin«) – irgendwann lernt man das Fürchten, garantiert.
»Noch nie waren so viele Raubvögel zu sehen gewesen.« So lautet der erste Satz des Romans; die feine Metaphorik erschließt sich erst nach und nach. Amy ist am Ende zu wenig Raubvogel, zu weich für den Job, zu lieb und zu unschuldig für ihre Rolle im Buch. Der Horror der Heldin überträgt sich auf den Stil des Romans: Streeruwitz malträtiert die Sprache (so wie sie es häufig tut), sie zerhackt Sätze und Wendungen, sie fügt die Bruchstücke zu etwas überraschend Neuem. »Vorhin. Beim Schuppen. Da hatte sie die Kälte noch gespürt. Jetzt war nichts mehr da. Watte. Ihre Finger waren Watte. Von der Hüfte hinunter. Watte. Im Kopf. Watte. Weiße.« Auf kurzer Strecke sorgt die Knappheit für Tempo. Doch über die Langstrecke eines Romans verursacht das Hecheln und Stammeln bisweilen Schwindel, vielleicht gar leichte Übelkeit.
»Die Splitter der Freiheit haben scharfe Ränder und werden als Waffen benutzt. Mach dich schutzlos«, verlangt Streeruwitz in ihrer »Theorie der Romane«. Mit diesem Roman provoziert sie durch Inhalt und Form. »Alles andere als Aufruhr ist Kapitulation. Und wer wollte Unterhaltung geschrieben gewollt haben wollen.«
Marlene Streeruwitz: Die Schmerzmacherin. S. Fischer. 399 S., geb., 19,95 €.
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