Braune Wiedergänger
Niedersachsens Innenminister lehnt Verbot der Nazi-Märsche durch Bad Nenndorf ab
Alle Jahre wieder ist das niedersächsische Bad Nenndorf Aufmarschziel zahlreicher Rechtsradikaler. Die Bürgerinnen und Bürger, denen die Nazi-Demonstrationen zuwider sind, erhofften sich Hilfe von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Mit ihm sprach jetzt eine Delegation aus dem Kurort. Das Ergebnis der Unterredung sei jedoch unbefriedigend, hieß es aus den Reihen der Nenndorfer.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Aktion »Bad Nenndorf ist bunt - Bündnis gegen Rechtsextremismus« hatten sich während ihres Besuchs in Hannover von Schünemann ein Signal in Richtung »Verbot der Nazi-Aufmärsche« gewünscht.
Anmeldung bis 2030
Doch dieser Wunsch blieb unerfüllt. Die Rechtsradikalen haben ihre jährlichen Auftritte im Kurort stets ordnungsgemäß angemeldet, inzwischen bereits langfristig - bis 2030. Es gebe zurzeit keine juristische Handhabe, die Märsche zu verbieten, erfuhren Schünemanns Gesprächspartner. Das Erscheinen der Nazis in Nenndorf werde genauestens von Polizei und Verfassungsschutz beobachtet, betonte ein Sprecher des Ministeriums gegenüber der Presse.
Eines immerhin hat die Delegation aus dem Kurort erreicht: Uwe Schünemann versprach ihr, sich auf einer öffentlichen Veranstaltung in Bad Nenndorf den Fragen der Bürgerinnen und Bürger zu stellen und sich deren Sorgen anzuhören. Viele Einwohner Nenndorfs haben die rechtsradikalen Demonstrationen, bei denen auch Nazi-Lieder und antisemitische Hetzreden ertönen, gründlich satt. Stets herrscht Ausnahmezustand in dem knapp 11 000 Einwohner zählenden Städtchen wenn sich dort - immer Anfang August - etwa 1000 Neonazis zusammenrotten. Rund 2500 Polizisten, so ein Insider, rücken schon Tage vor dem Marsch der Rechtsextremisten an, errichten Sperren, beziehen Quartier. Am Tag der braunen Demo öffnen Einzelhändler ihre Geschäfte nicht, auch Supermärkte bleiben geschlossen.
Ziel der Nazis, die sich 2006 Bad Nenndorf zur »Pilgerstätte« erkoren, ist in jedem Jahr der Komplex »Wincklerbad«, der mittlerweile ein Gesundheitszentrum umschließt. Die Gebäude wurden von 1945 bis 1947 vom britischen militärischen Geheimdienst als Verhörzentrum genutzt. Zu den bekanntesten dort Befragten gehörte Hitlers Testpilotin Hanna Reitsch.
Die »Befragungen« in dem Verhörzentrum, das ist unstrittig, waren teils mit körperlichen Misshandlungen, mit Folter verbunden. In Großbritannien wurden die Zustände im Zentrum erst 1947 bekannt, worauf die Regierung die Verhörstätte auflöste. Offenbar wurde, dass seinerzeit mindestens drei Menschen durch Unterernährung im »Wincklerbad« ihr Leben verloren.
Verbot für Gegen-Demo
Mit Blick auf die Geschehnisse im Verhörzentrum bezeichnen die Nazis ihre Nenndorf-Aktivitäten als »Trauermärsche«. Offensichtlich seien diese ein Ersatz für die »Rudolf Heß-Gedenkmärsche«, meint Jürgen Uebel vom Bündnis »Bad Nenndorf ist bunt«. Die Heß-Märsche, die 2005 verboten wurden, gab es seit 1987 im oberfränkischen Wunsiedel. Dort lag das Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß. Diese Nazi-Wallfahrtsstätte existiert nicht mehr. Im Juli 2011 wurden die Gebeine des Kriegsverbrechers exhumiert und verbrannt, es folgte eine »Bestattung« durch Verstreuen der Asche auf hoher See.
Mit einem Verbot der Nazi-Aufmärsche halten sich die offiziellen Stellen in Niedersachsen zurück. Schnell reagierte die Justiz dagegen im August dieses Jahres als es um eine Gegen-Demo von Antifaschisten in Nenndorf ging: Das Amtsgericht Hannover untersagte die Aktion. Im Eilverfahren hob das Oberverwaltungsgericht Lüneburg dieses Verbot auf - verknüpfte seine Entscheidung jedoch mit Auflagen, die nach Ansicht des Bündnisses gegen Rechtsextremismus »einem Verbot ziemlich nahe kamen«.
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