Das Ende von Occupy Wall Street?

Park-Reinigung als Räumungsvorwand in Manhattan

  • Max Böhnel
  • Lesedauer: 4 Min.
Hunderte von Aktivisten und Aktivistinnen befürchten heute in den frühen Morgenstunden (Ortszeit) den Showdown.

Tag 27, der gestrige Donnerstag, war wahrscheinlich der letzte vollständige Besetzertag von Occupy Wall Street, zumindest der Besetzung des Liberty Plaza in Manhattan. Denn für 7 Uhr morgens (13 Uhr mitteleuropäischer Zeit) haben sich städtische und private Putzkolonnen angekündigt, die den Platz mit Hochdruckreinigern sauber machen sollen - und dazu müssen die Besetzer den Platz räumen. Sie werden danach wieder zurückkommen dürfen. Das kündigte ein Sprecher der Stadt an. Aber die Sache hat einen Haken, der die angebliche Hygieneaktion der Stadt faktisch zur Räumung macht. Denn die „Verhaltensregeln" zur Benutzung des öffentlichen Platzes werden ab sofort geändert. Schlafsäcke, Zelte, Kochgeschirr, grössere sperrige Gegenstände und Regenplanen werden nicht mehr erlaubt sein. Selbst das Hinlegen im Liberty Plaza bzw. Zuccotti Park auf dessen Boden oder auf Bänken ist dann verboten. Wer die neuen Regeln bricht, wird zuerst verwarnt und nach mehrfacher Aufforderung von der Polizei festgenommen.

So einfach stellt sich der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg jedenfalls die Lösung dieses lästigen Problems drei Häuserblocks vom finanziellen Machtzentrum Wall Street entfernt offenbar vor. Er wurde anscheinend von Anwälten beraten. Denn diese Vorgehensweise verletzt formal keinesfalls das Recht. Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit bleibt dieser Sichtweise zufolge aufrechterhalten. Gleichzeitig degradiert die Stadt den politischen Protest, wie er sich seit über vier Wochen manifestiert, mithilfe einer simplen „Regeländerung" zur Ordnungswidrigkeit – die, so ist zu befürchten, buchstabengetreu und mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Plastikhandschellen bestraft werden wird.

Wie in einem Brennglas werden den jungen Besetzern damit auf einmal die Verhältnisse von Macht, Gewalt und Eigentum vor Augen geführt. Der Park ist öffentlich und jedem 24 Stunden lang zugänglich, aber, so widersprüchlich es klingt, auch privat. Er gehört einer Grundstückgesellschaft namens Brookfield Properties. Die Firma habe in den letzten Wochen hunderte von Klagen von Anwohnern und Passanten erhalten, in denen die Rede gewesen sei von Drogenmissbrauch, Gestank, Lärm und Gehwegbehinderung, hiess es von offizieller Seite am Donnerstag. Brookfield Properties liess sich sich über einen Beschwerdebrief an Bürgermeister Bloomberg hinaus dann auch nicht nehmen, mithilfe von zwei Angestellten die Vorgehensweise per Flugblatt anzukündigen. Der Park werde am Freitag ab 7 Uhr morgens jeweils auf einem Drittel gesäubert. Danach könne der gereinigte Teil sofort wieder von der Öffentlichkeit benutzt werden. Für die Durchsetzung dieser Art von „Recht und Ordnung" sind die bewaffneten städtischen Büttel zuständig.

Schon am frühen Abend zuvor, am Mittwoch, waren mehrere Besetzer stutzig geworden, als etliche abgedunkelte Fahrzeuge am Parkeingang hielten und kein anderer als Michael Bloomberg persönlich in Begleitung von mindestens sechs Bodyguards und einer Reihe seiner Hofschranzen, inklusive eines Medientroses ausstieg, um den Unruheherd zu inspizieren. Lächelnd stakste er umher, verweigerte aber gleichzeitig jegliche Unterhaltung mit Besetzern. Dabei kündigte der reichste Mann von New York auch an, dass eine „Reinigung" bevorsteht.

Die Haltung des Ordnungspolitikers und Stadtmanagers Bloomberg kann allerdings nach hinten losgehen. Der Kolumnist der New York Times Nick Kristof twitterte umgehend, die sogenannte „Parkreinigung" sei ein so offensichtlich verlogener Räumungsvorwand, dass weitere Solidarisierungseffekte unvermeidlich seien. Andere Beobachter der Stadtpolitik, etwa Leser und Leserinnen der „New York Times", äusserten sich ähnlich.

Zur abendlichen Vollversammlung von Occupy Wall Street um 19 Uhr waren trotz eines unangenehmen Nieselregens gut 1500 Menschen erschienen. Die meisten davon werden übernachten. Für 6 Uhr morgens, eine Stunde vor dem erwarteten Showdown, werden weitere mehrere Hundert erwartet, die sich dem beschlossenen zivilen Ungehorsam anschliessen wollen.

Mit in der Masse befinden sich auch Aktivistinnen aus Spanien, die im Frühjahr die Protestcamps der „Indignados" mitorganisiert hatten. Allerdings hatten die Vollversammlungen in Barcelona und Madrid nach gut vier Wochen Besetzung die Auflösung der Protestcamps beschlossen, um die Proteste auszuweiten – sowohl innerhalb von Spanien in den Gemeinden wie auch international. Inzwischen mischen sich die „Indignados" beim regionalen und lokalen Widerstand gegen Zwangsräumungen und gegen die Privatisierung von Bildungseinrichtungen ein, zum Teil mit Erfolg. Dass ein Protestlager kein Selbstzweck, sondern nur ein Werkzeug sein kann – davon versuchen die spanischen Aktivisten ihre Genossen in New York und in anderen US-Städten derzeit zu überzeugen.

Ob es mit Occupy Wall Street heute zu Ende geht, wird man in ein paar Stunden genauer wissen. Unklar ist auch, wie die Dutzende von Übernachtungslagern in anderen US-Städten auf die Nachrichten reagieren werden. Wohin der Occupy-Zug dann fährt – we don´t know.

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