Suche mit geschlossenen Augen
Seltsame Grundstücksverkäufe in Leipzig
Ein Anruf im eigenen Haus hätte genügt. Der Mitarbeiter des Rechtsamts im Leipziger Rathaus, dem im Mai 2007 die Anfrage eines Maklers zu einem Grundstück in der Lionstraße 7 auf den Tisch flatterte, hätte nur in der Abteilung anklingeln müssen, die für Grundsteuern zuständig ist. Danach hätte er dem Interessenten den Eigentümer der Fläche nennen können. Der Anruf unterblieb - womöglich nicht nur in diesem Fall. »Schlamperei oder Korruption?«, fragte deshalb schon vor Wochen das Stadtmagazin »Kreutzer«.
»Kalte Enteignung«
Jetzt schlägt der Fall neue Wellen. Grund ist ein Bericht des Anti-Korruptionsbeauftragten, der schon im April verfasst, aber erst jetzt publik wurde. Er wirft Fragen dazu auf, wie die Stadt mit vermeintlich herrenlosen Grundstücken umgeht. Derlei Flächen, deren Eigentümer nicht mehr auffindbar sind, gibt es viele in deutschen Städten; in Leipzig sind 750 Fälle bekannt. Oft handelt es sich um Brachen, die das Stadtbild nicht eben bereichern.
Damit Kaufinteressenten zum Zuge kommen und in der Hoffnung, dass die Schandflecken so verschwinden, gibt es gesetzliche Regelungen zum Umgang mit herrenlosen Flächen, unter anderem im Vermögensgesetz. Demnach kann bei Anfragen von Interessenten die Kommune einen Anwalt als gesetzlichen Vertreter einsetzen und mit dem Verkauf beauftragen. Der Erlös wird für den Fall aufbewahrt, dass doch noch Erben auftauchen. In Leipzig sollen so seit 1995 rund 350 Grundstücke veräußert worden sein.
Nicht nur der Fall Lionstraße 7 wirft indes die Frage auf, wie sorgfältig zuvor tatsächlich nach etwaigen Eigentümern gesucht wurde. Dort wurde bereits einen Tag nach der Makleranfrage ein gesetzlicher Vertreter bestellt - »ohne eigene, aktenkundige Recherche« nach Besitzern, stellt der Anti-Korruptionskoordinator fest. Binnen drei Wochen war das Areal dann verkauft.
Erst als später im Bereich Steuern nachgefragt wurde, ob Grundsteuer aussteht, kam heraus, dass dort sehr wohl Erben bekannt sind. Ein Blick ins Telefonbuch genügte, um ihre Anschrift zu ermitteln. Diese Eigentümer widersprachen dem Verkauf, der ihrer Ansicht nach weit unter Wert erfolgte - blitzten aber ab. Weil die Fläche zwischenzeitlich weiterverkauft worden war, haben sie kaum noch Eingriffsmöglichkeiten. Beobachter sprechen von »kalter Enteignung«
Der jetzt bekannt gewordene Bericht kommt zwar zum Schluss, dass es keine Anzeichen für Korruption gibt, wirft dem Rathaus aber indirekt schlampiges Vorgehen vor: Es »liegt auf der Hand und verursacht keine besonderen Kosten«, bei Steueramt, Einwohnermelderegister oder Standesamt nach Eigentümern zu recherchieren. Entsprechende Rückfragen habe es jedoch auch in anderen geprüften Fällen nicht gegeben.
50 weitere Fälle?
Das Rathaus reagiert zerknirscht; bei der Prüfung der Besitzverhältnisse habe es in einzelnen Fällen »schwere Versäumnisse« gegeben, wird eingeräumt. Aus einer Antwort des Sächsischen Finanzministeriums auf eine Anfrage des LINKE-Abgeordneten Klaus Bartl geht zudem hervor, dass Leipziger Rechnungsprüfer eine »umfassende Untersuchung« der Verkäufe vornehmen.
Auf die Ergebnisse ist man im Stadtrat äußerst gespannt. Nach Ansicht von LINKE-Stadtchef Volker Külow sind die bisher bekannten Fälle »nur die Spitze eines Eisbergs«. Seiner Kenntnis nach gebe es mindestens 50 weitere strittige Fälle. Man habe es, sagt Külow, »hier mit einem unglaublichen Immobilienskandal zu tun«.
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