Nebenwirkung Hunger

  • Jürgen Klute
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Europaabgeordnete (LINKE) ist u.a. Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung sowie stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss.
Der Europaabgeordnete (LINKE) ist u.a. Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung sowie stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss.

Mit dem gestern vorgelegten Vorschlag für die Überarbeitung der Finanzmarktrichtlinie MiFID muss die EU-Kommission einige Erwartungen erfüllen: Michel Barnier, als Binnenmarktkommissar zuständig, kündigte im Europaparlament an, die Novelle werde sich intensiv mit der Beschränkung der Spekulation auf Nahrungsmittel und Rohstoffe befassen. Tatsächlich enthält der Vorschlag einige gute Ansätze, mit denen die Spekulation eingedämmt werden kann, etwa die Einführung von Höchstmengen, die Spekulanten halten dürfen.

Zusammen mit dem von Nichtregierungsorganisationen bekämpften und mittlerweile auch in den Medien verstärkt diskutierten Landgrabbing vor allem in Afrika ist die Nahrungsmittelspekulation eine der wesentlichen Ursachen für die zunehmende Hungergefährdung in den Ländern des Südens. Während ärmere Haushalte in Deutschland rund 15 Prozent ihres Einkommens für Ernährung ausgeben, sind es in den armen Ländern des Südens oft über zwei Drittel. Steigen also die Lebensmittelpreise auch nur minimal, so führt das in vielen Ländern unmittelbar zu ernsthaften Problemen.

Beim Handel mit Agrarrohstoffen wie zum Beispiel Weizen ist zu unterscheiden zwischen den Warenterminmärkten und den Spotmärkten. An Spotmärkten wird der echte, fassbare, geerntete Weizen gehandelt, der naturgemäß in der Erntezeit in relativ großem Umfang angeboten wird. Auf den Weizenterminmärkten andererseits findet kein Handel mit Getreide statt, sondern mit Futures. In der einfachsten Form verabredet ein Landwirt im Frühjahr mit dem Müller den Verkauf seiner Weizenernte Ende August zu einem bei Vertragsabschluss verabredeten Preis. Damit haben beide eine Absicherung gegen Preisschwankungen und können kalkulieren. Gleichzeitig gehen auch hier schon Müller und Landwirt ein Spekulationsgeschäft ein: Der Bauer kann sich besonders dann über seinen Future freuen, wenn die Preise sinken, er also gegenüber seinen Nachbarn ohne Future mehr Gewinn macht. Der Müller andererseits macht einen höheren Gewinn mit dem Future, wenn der Preis steigt, dann kann er den Weizen relativ billig kaufen und ihn teuer verkaufen.

Die modernen Terminmärkte sind es, an denen der wesentliche Teil der Spekulation stattfindet, wobei die größte Rolle den Indexfonds zukommt. Kurz vor Fälligkeit wandeln diese Fonds ihre Futures in neue um. Da die Anzahl der Indexinvestoren massiv steigt, erhöht sich die entsprechende Nachfrage beständig, was wiederum zu steigenden Futurepreisen führt. Diese steigenden Preise wiederum bescheren den Indexinvestoren weitere Gewinne, die Attraktivität von Investitionen in Nahrungsmittelindizes steigt also.

Die Entwicklung funktioniert aber auch in entgegengesetzter Richtung, wie der massive Rückgang der Nahrungspreise zwischen Juni und Dezember 2008 zeigt. Nach der Lehman-Pleite sind Finanzanleger schnell aus ihren Lebensmittelspekulationen ausgestiegen, weil sie Geld lockermachen mussten.

Da diese Schwankungen nicht auf die Veränderung von Angebot und Nachfrage von Weizen und anderen Produkten, sondern auf die Indexinvestitionen zurückzuführen sind, treffen die Schwankungen die Landwirte völlig unvorbereitet. Nur weil der Preis abstürzt, kann der Landwirt nicht unmittelbar seine Produktion herunterfahren und ebenso wenig kann eine Familie in Mali beschließen, weniger zu essen, weil Mais doppelt so teuer ist wie wenige Monate zuvor.

Mit der Überarbeitung der Finanzmarktrichtlinie ist das Verbot solcher Spekulationen nun in greifbarer Nähe und der zunehmende öffentliche Druck wird es den bürgerlichen Akteuren während des Gesetzgebungsprozesses nicht leicht machen, der Lobbyarbeit von Banken und Spekulanten nachzugeben.

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