Der verdammte Mythos
Dynamo Dresden schreibt wieder negative Schlagzeilen, niemand leidet mehr darunter als die echten Fans des Traditionsvereins
Borussia Dortmund hat am Mittwochabend sein Pokalspiel mit 2:0 gewonnen. Doch diese Nachricht interessierte schon kurz nach dem Spiel kaum einen mehr. Wie so oft, wenn der Gegner Dynamo Dresden heißt. Deswegen kann sich auch Torsten Rudolph, der gerade mit einem »U 16-Bus« auf dem Rückweg aus Dortmund ist, Galgenhumor nicht verkneifen: »Wir hätten auch höher verlieren können«, sagt der Leiter des Dresdner Fanprojekts und lacht. »Oder rufen Sie gar nicht wegen des Geschehens auf dem Rasen an?«
Eigentlich ist ihm nicht zum Scherzen zumute, schließlich haben sich von den 15 000 Dynamo-Fans, die mitten in der Woche nach Dortmund gefahren sind, wieder so viele daneben benommen, dass die Schlagzeilen auch in den kommenden Tagen wieder von Ausschreitungen dominiert werden. Schon vor dem Spiel randalierten Fans der Sachsen in der Dortmunder Innenstadt, später wurden Polizeibeamte mit Flaschen, Steinen beworfen, die Partie konnte erst mit einer Viertelstunde Verspätung angepfiffen werden. Während des Spiels wurden immer wieder Bengalos abgefackelt, das Spiel wurde dreimal unterbrochen. Ein Polizeisprecher sprach von »massiver Gewalt« gegen die Einsatzkräfte. Sieben Personen wurden festgenommen, 15 Personen leicht verletzt.
Rudolph weiß, dass es bei dieser Sachlage schwer ist, zu differenzieren. »Ich weiß ja, dass Fanprojektlern immer der Vorwurf gemacht wird, dass sie abwiegeln.« Fakt sei aber, dass die Dortmunder Polizei anfangs ohne Grund zu Eskalationsmaßnahmen wie Gefahrenansprachen und Platzverweisen gegriffen habe, später seien Dynamo-Ordner, die »beruhigend auf die wütenden Fans eingewirkt haben«, überrannt worden, »zehn davon wurde aus nächster Nähe Pfefferspray ins Gesicht gesprüht«. Das alles solle aber keine Entschuldigung sein.
Rudolph hat auch für seinen Geschmack viel zu viele Leute gesehen, die das wieder aufleben lassen wollten, was er leicht verächtlich »den Mythos Dynamo« nennt: Laut, aggressiv, im Dauerclinch mit gegnerischen Fans, Polizei und Stadionordnung: »In Dortmund waren wieder massig Leute, die man höchstens dreimal im Jahr bei Spielen sieht und die schon vor dem Spiel erschütternd betrunken waren«, sagt Rudolph und verweist auf die Liveübertragung des Spiels im Fernsehen: »Die haben die große Bühne gesucht und leider auch gefunden.«
Dass sie damit den Verein, den sie angeblich unterstützen wollen, von ebendieser Bühne stoßen, scheint den Fans völlig gleichgültig zu sein. Dynamo ist mit einem Mini-Etat in die Saison gestartet, im Pokal hat man Leverkusen besiegt, sich nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Zweiten Liga etabliert. Der Klub ist ein echter Traditionsverein, Zigtausende Menschen nicht nur in Sachsen bekennen sich zu ihm. Auswärts wird er von einer so großen Fanschar begleitet, dass in der Zweiten Liga allenfalls Eintracht Frankfurt noch mithalten kann. Die überwiegende Mehrheit der Anhänger sind ganz normale Fans, denen das schlechte Image der Szene wohl am meisten wehtut. Schließlich gefährdet es das, was ihnen so viel bedeutet: Die Existenz des Vereins.
Zumal sich die Ultraszene bundesweit an einem Scheideweg befindet, ein Teil sucht zunehmend offen gewalttätige Ausschreitungen. Ein Wettkampf um das Image der »härtesten« Szene ist entbrannt. Beim jüngsten Aufeinandertreffen von Dynamo und Eintracht Frankfurt kam es trotz eines martialischen Polizeiaufgebotes zu Ausschreitungen, geschmacklosen Transparenten und antisemitischen Gesängen. All das war voraussehbar und wurde sowohl von den SKBs (szenekundige Beamte der Polizei) als auch von kritischen Fans lange vorher vorausgesagt. Schließlich ging es um einen szeneinternen Wettstreit, welcher Klub (»Farben«) die »härtesten« Ultras habe: Die Frankfurter aus dem Westen, die mit dem zweifelhaften Eigenlob »Randalemeister« mobilisierten, oder die aus dem Osten, die in ganz Dresden Aufkleber mit dem Aufruf »Wessi-Ultras aufs Maul!« anbrachten.
An diesem Samstag spielt der Karlsruher SC in Dresden. Aus beiden Fanszenen verlautet, dass es seit den letzten Aufeinandertreffen 2006 eine offene Rechnung gebe. Damals seien KSC-Fans von einer zahlenmäßigen Übermacht angegriffen worden. Dass diesmal weit mehr KSC-Anhänger mitfahren als üblich, dürfte daher kein gutes Zeichen sein. Rudolph indes hofft, dass es ruhig bleibt: »Selbst die Spiele gegen Cottbus, Union Berlin und Rostock sind friedlich geblieben, weil sich die Fans verantwortungsvoll verhalten haben. Ich bin zuversichtlich, dass das auch am Samstag so sein wird.«
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