Die Lobby der Selbstständigen
Die Gewerkschaft ist nicht nur für abhängig Beschäftigte da
ND: Wie viel freie und selbstständige Mitglieder hat ver.di?
Lasch: Es sind derzeit rund 32 000.
Wer gehört in die Gruppe der Freien und Selbstständigen?
Es gibt nicht den Freien oder Selbstständigen an sich. Wir haben das komplette Spektrum vom gut bezahlten, wohl situierten Journalisten oder Künstlern, die gut im Geschäft sind. Da sind freie Dozenten an Volkshochschulen. Und im Pflegebereich gibt es viele, die als Soloselbstständige unterwegs sind. Und es geht von der Friseurin bis zu Menschen, die ein mobiles Büro unterhalten. Oder Tagesmütter, die zwar mit Knebelverträgen an Jugendämtern hängen, aber eben vom Status her selbstständig sind - bis hin zu Tagelöhnern mit Stundensätzen, von denen man nicht zu reden braucht. Und nicht zu vergessen Leute, die vom Status her Selbstständige sind, aber abhängig von einem Auftraggeber zu Sätzen arbeiten, die weit unter unserer Mindestlohnforderung von 8,50 Euro liegen. Das sind dann drei, vier Euro pro Stunde, die übrig bleiben.
Und von dem Geld müssen sie sich selber versichern?
Ja. Selbstständige müssen sich von dem Geld selber krankenversichern und Rentenbeiträge abführen. Da bleibt dann nicht viel übrig.
Welche Ansätze verfolgen Sie, um die Anliegen der Freien und Selbstständigen zu unterstützen?
Ver.di macht aktive Lobbyarbeit auf der einen Seite und hat nicht ganz unerheblichen Einfluss auf Entscheidungen. Ver.di-Leute sind regelmäßig in Fachgremien, auch im Bundestag. Der andere Part ist, dass wir Selbstständigen so viel Knowhow vermitteln, dass sie ihre Angelegenheiten selber klären können. Dafür haben wir «Mediafon« - ein Beratungsnetzwerk, das im Internet Antworten zu allen wichtigen Fragen gibt, die Selbstständige bewegen. Dazu kommt eine Telefonhotline, bei der jeder und jede, die Fragen hat, an den entsprechenden Fachmann weitergereicht wird. Beispielsweise wissen viele Medienarbeiter und Künstler nicht, dass sie Mitglied der Künstlersozialkasse werden können.
Wir sprechen Selbstständige an, zeigen ihnen Möglichkeit auf, Mitglied zu werden, und bieten Informationen, wo sich die Selbstständigen austauschen können. Es gibt in Deutschland zig Stammtische von Freien und Selbstständigen, gerade in Medienstädten.
Wir haben außerdem die Aufgabe, diese Anliegen in ver.di hineinzutransportieren, weil viele das noch gar nicht wahrgenommen haben. Selbstständige sind in den letzten Jahren nicht selten als sogenannte Schmutzkonkurrenz von abhängig Beschäftigten bezeichnet worden. Aus Gewerkschaftssicht war jeder Selbstständige ein verlorener Angestellter. So kann man es aber nicht sehen. Ich bin zum Beispiel sehr gerne selbstständig.
Viele Selbstständige wissen gar nicht, dass auch sie eine gewerkschaftliche Lobby haben. Muss da noch mehr Öffentlichkeitsarbeit betrieben werden?
Da muss definitiv noch mehr Öffentlichkeitsarbeit betrieben werden. Wir arbeiten mit der Wortmarke »Selbstständig Denken«, mit der Leute angesprochen werden, die kein Mitglied sind und nicht wissen, dass sie das überhaupt werden können. Das ist mühsam, da die Selbstständigen sehr vereinzelt sind, die kann man nicht so einfach zusammenrufen. Mit einem Angebot, sich selbst zu organisieren, tun sich Selbstständige aber viel leichter als Angestellte, wo vieles noch - beispielsweise durch Tarifverträge - geregelt ist.
Erfahren Sie genügend Unterstützung innerhalb von ver.di?
Seit Ende Mai hat der Bundesvorsitzende Frank Bsirske erkannt, wie sehr sich das Thema ausweitet. Lange Zeit hatte er es eher als Randerscheinung betrachtet Ich denke, das ist in ver.di ein Thema, welches es anzupacken gilt, unter der großen Überschrift »Wandel der Arbeitswelt«. Ver.di hat erklärt, dass sich eine Gewerkschaft diesem Wandel der Arbeitswelt stellen muss und dass die Gewerkschaftspolitik aus den 70ern hier nicht mehr greift.
Internet: freie.verdi.de, www.mediafon.net, Hotline: 01805-754444 (14 Ct./min aus dem Festnetz. - Mobil max. 42 Ct./min.)
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