Die Hilflosigkeit in der Krisenbewältigung
Schuldenschnitt, Eurobonds, Finanzmarktregulierung – ein alternatives Programm für die Eurozone
Seit einigen Monaten steht das Projekt der Europäischen Währungsunion unter Druck, wobei die Schuldenkrise Griechenlands und weiterer Eurostaaten im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen. So schrieb die »Wirtschaftswoche« bereits im Januar 2010: »Steigende Schulden, fehlender Reformwille, schwindende Wettbewerbsfähigkeit - die Finanzkrise legt die Schwächen der Währungsunion schonungslos offen. Wie lange hält der Euro das noch aus?«
Uneins schon in der Analyse
Bekanntlich gehen die Meinungen in Politik und Wissenschaft im Hinblick auf die Ursachen der Krise weit auseinander. Hans-Werner Sinn, Leiter des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, betrachtet die hohe Verschuldung und die mangelnde Budgetdisziplin der südeuropäischen Länder als die Ursachen der Eurokrise und apostrophiert sie folglich als »Krise der Staatsverschuldung«. Infolge der gesunkenen Zinsen und des dank des Eurosystems erwarteten Anlageschutzes habe in den südeuropäischen Ländern ein kreditfinanzierter Aufschwung stattgefunden, in dessen Folge sie über ihre Verhältnisse gelebt und sich hoch verschuldet hätten.
Näher an der Realität befinden sich links-alternative Politiker und Ökonomen, nach deren Auffassung die neoliberale, auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zielende Lissabon-Strategie der EU die Hauptschuld an der Krise trägt. So verweist Sebastian Dullien, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, darauf hin, dass die gestiegene Staatsverschuldung in den Krisenländern nicht die Ursache der Euro-Krise, sondern die Folge anderer Fehlentwicklungen wie der Überschuldung bei den privaten Haushalten und den Banken sowie der makroökonomischen Ungleichgewichte ist.
Entsprechend ist festzustellen, dass Deutschland durch seine starke Exportindustrie zu den Hauptverursachern der Ungleichgewichte und den Hauptprofiteuren der gegenwärtigen Finanzkrise gehört. Mit seinen Handelsbilanzüberschüssen hat Deutschland dazu beigetragen, dass andere Länder wie Griechenland nicht ihre eigenen Waren produzieren und verkaufen, sondern vor allem deutsche Waren kaufen. Damit hat die deutsche Wirtschaft nicht nur den europäischen Nachbarländern Schaden zugefügt, sondern auch sich selbst, da über das exportorientierte Wachstumsmodell viele Jahre keine hohen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten erzielt werden konnten. Diese Politik hat mit zum Einbruch des Wirtschaftswachstums mit einem anschließenden Anstieg der Verschuldung in den südeuropäischen PIGS-Staaten (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien) beigetragen.
Die Politik in den EU-Staaten reagiert auf die sich ausweitende Krise weitgehend hilflos. Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs in der Eurozone laufen darauf hinaus, die Auflagen für die Griechen zu verschärfen, einen Umtausch der griechischen Staatspapiere in solche mit längeren Laufzeiten und einen freiwilligen Gläubigerverzicht auf Forderungen gegenüber Griechenland zu verbinden. Diese Politik erweist sich zunehmend als verhängnisvoll, denn durch die Griechenland diktierte Sparpolitik wird die Krise nicht gelöst, sondern nur vertieft.
Was stattdessen zu tun ist
Deutschland muss das einseitige, nur auf Exportüberschüssen basierende Wachstumsmodell erweitern und eine Politik umsetzen, die auch die Binnennachfrage stützt. Folglich müssen die Arbeitnehmer in Deutschland bei der Lohnentwicklung in Zukunft stärker am Wachstum des Bruttoinlandsprodukts beteiligt werden. Heike Joebges, Professorin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, ist beizupflichten, dass ein Abgehen Deutschlands von seiner strikten Exportorientierung erforderlich ist. Nur wenn Deutschland seine Exportüberschüsse abbaut, können die PIGS-Staaten via Nachfrage- und Konjunkturimpulse mit höheren Wachstumsraten ihre hohe Verschuldung zurückführen.
Notwendig ist zunächst ein konsequenter Schuldenschnitt, nach dem die Gläubiger pauschal 50 bis 70 Prozent ihrer Forderungen aus ihren Büchern streichen müssen. Griechenland würde keine Anleihen mehr zurückzahlen und keine Zinsen mehr entrichten. Folglich müssten auch Fonds, Versicherungen, Finanzkonzerne und Privatpersonen, die dem griechischen Staat Geld geliehen haben, einen Beitrag zur Entschuldung des Landes leisten und milliardenschwere Ausfälle selbst tragen. Bei einer solchen Lösung würde der griechische Staat auf einem Schlag einen Großteil seiner Schulden los, und die Wirtschaft könnte sich wieder entfalten. Allerdings ist kein Schuldenschnitt von 100 Prozent möglich, da bei diesem »Haircut« griechische und andere europäische Banken mit einer niedrigen Eigenkapitalausstattung in eine Krise stürzen würden.
Es ist zutreffend, dass früher ähnliche Probleme über die Abwertung der nationalen Währung gelöst wurden. Ein Zerbrechen der Eurozone kann aber nicht das Ziel einer verantwortungsbewussten Politik sein. Dennoch führt mit Einschränkungen an einer inneren Abwertung Griechenlands, an einer Abwertung von Löhnen und Preisen um ca. 20 Prozent bei einem Verbleib im Euroraum kein Weg vorbei, um die griechischen Exporte zu verbilligen und die Wirtschaft Griechenlands wettbewerbsfähiger zu machen. Zwar würde bei einer inneren Abwertung die Schuldenlast Griechenlands weiter ansteigen, weil seine Anleihen weiter auf Euro liefen. Dennoch sollte dies ein gangbarer Weg sein, wenn gleichzeitig der Weg einer (fast) vollständigen Entschuldung verfolgt wird.
Die Einführung von Gemeinschaftsanleihen, der sogenannten Eurobonds, ist in Deutschland nicht populär, weil sie zu Lasten der solventen Euroländer ginge und Deutschland dann höhere Zinsen an seine Gläubiger zahlen müsste. Bei einer Vertiefung der Euro-Krise dürfte man um die Einführung von Eurobonds dennoch nicht herumkommen. Dagegen scheidet der Ansatz, die Schuldenprobleme über eine »Inflationierung« in den Griff zu bekommen, aus, da eine solche Politik nur zu Lasten der kleinen Leute ginge.
Da nicht nur die Staatsschulden in der Eurozone, sondern auch die großen Vermögen gewachsen sind, ist eine Vermögensabgabe für die Reichen zu fordern. Konkret sollte der Staat zur Behebung der Finanzkrise eine einmalige Vermögensabgabe zur Abschöpfung der Vermögen der oberen Zehntausend erheben und gleichzeitig einen Teil der Staatsschulden tilgen. Weiter könnte der Staat eine Millionärssteuer in Höhe von fünf Prozent zur Einholung von jährlich 80 Milliarden Euro erheben. Hinzu müsste viel intensiver über eine stärkere Regulierung und Besteuerung des Finanzsektors, der die Krise mit hervorgebracht hat, diskutiert werden. Hinzu kommt, dass entgegen aller Versprechungen keine wirksame Regulierung der Finanzmärkte vorgenommen wurde. Entsprechend wären das Verbot hoch riskanter Finanzgeschäfte, das Verbot aller Leerverkäufe und die Stärkung der öffentlichen Bankenaufsicht zu fordern. Inzwischen haben Politiker fast aller Parteien die Einführung einer Finanztransaktionssteuer gefordert. Nur wann wird diese Forderung endlich umgesetzt?
Verschleppung der Insolvenz Athens?
In den letzten Tagen hat die öffentliche Diskussion eine interessante Wendung bekommen. Ein Teil der Experten in Wissenschaft und Politik vertritt die Auffassung, es sei damit zu rechnen, dass im Falle einer Insolvenz Griechenlands viele Banken aufgrund gravierender Eigenkapital- und Solvenzprobleme in eine Krise stürzen würden. Eine Unterstützung der Banken sei notwendig, damit die Schuldenkrise nicht zu einem Flächenbrand im Bankensektor führt. Realitätsnäher ist die Auffassung, dass die Insolvenz Griechenlands bewusst verschleppt wird, um die Banken und Fonds zu entlasten. Anstatt endlich einen 50- bis 70-prozentigen Schuldenschnitt zu vollziehen, bei dem die Gläubiger als Inhaber griechischer Staatsanleihen, wozu auch viele Banken und Hedgefonds gehören, große Vermögensverluste in Kauf nehmen müssten, wird es Banken und privaten Gläubigern erlaubt, ihre Forderungen gegenüber Griechenland gegen sichere Anlagen zu tauschen.
Freiwillige Gläubigerbeteiligung
Selbst gegenüber vergleichsweise weichen Forderungen des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso nach einer erheblich höheren Eigenkapitalquote für systemrelevante Geschäftsbanken reagierte die Finanzbranche reserviert. Stattdessen beharrten die Bankhäuser lange Zeit auf der Ende Juli 2011 beschlossenen »freiwillige Gläubigerbeteiligung«, bei der sie einen Abschlag von 21 Prozent auf die griechischen Anleihen in Kauf nehmen müssen. Der beim EU-Gipfel zugesagte Verzicht auf 50 Prozent der Forderungen geht in die richtige Richtung. Allerdings bleibt das Problem bestehen, dass ein Großteil der Schrottpapiere in öffentliche Hand übergeht. Die aufgekauften Verluste wird der Staat, und das scheint absehbar, entweder über Steuererhöhungen und Kürzungen von Sozialleistungen auf Arbeitnehmer, Rentner und Erwerbslose abwälzen oder via Europäische Zentralbank über Inflation zu entwerten versuchen.
Verwendete Quellen:
- Hans-Werner Sinn: Euro-Krise, ifo-Schnelldienst, Heft 10 vom 20.05.2010, S. 4ff.
- Sebastian Dullien: Ungleichgewichte im Euro-Raum: Akuter Handlungsbedarf auch für Deutschland, Bonn 2010, S. 7ff.
- Mario Candeias: Wohin treibt der Krisenkapitalismus? Vortrag bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 16.03.2011;
- Heike Joebges et al.: Deutschlands Exportüberschüsse gehen zu Lasten der Beschäftigten, Bonn 2010, S. 5 und 30f.
- Joachim Bischoff: Krisenkarussell nimmt Fahrt auf - Schuldenkrise schlägt in Bankenkrise um, in: Sozialismus.de, 14.10.2011
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