Gott braucht Komplizen
Rabbiner Walter Homolka über die Verwandschaft von Judentum und Islam, den Papst und die Bundeswehr
ND: Herr Prof. Homolka, Sie wurden soeben mit dem Muhammad-Nafi-Tschelebi-Friedenspreis geehrt. Diesen Preis vergibt das Islam-Archiv Soest, um den Dialog zwischen den Religionen, vor allem zwischen Muslimen, Juden und Christen zu fördern. Womit haben Sie ihn sich verdient?
Homolka: Das Abraham Geiger Kolleg hat sich über Jahre hinweg dafür eingesetzt, dass das Zusammenleben von Muslimen, Juden und Christen selbstverständlich wird. So forschen wir u.a. zu der Frage, welche Verbindungen es zwischen Judentum und Islam gibt. Das ist, wie ich glaube, auch der Auftrag unseres Namensgebers Abraham Geiger, der als Begründer der modernen Islamwissenschaften gilt.
Welche Verbindungen zwischen Judentum und Islam gibt es?
Verwandtschaftliche. Sie gehen auf die Bibel zurück, auf die hochdramatische Geschichte von Ismail und seinem Halbbruder Isaak. Diese Geschichte verweist uns darauf, dass schon zu jener Zeit die Frage, wer der erbberechtigte Sohn Abrahams ist, Isaak oder Ismail, eine Rolle spielte. Ist nun das Judentum oder der Islam dem Erbe Abrahams treu? Die Bibel und der Koran geben darauf unterschiedliche Antworten. Aber wichtig ist es zunächst, darauf hinzuweisen, dass es eine Verwandtschaft, ein brüderliches Verhältnis gibt. Zum Christentum gibt es für uns Juden eine gewachsene Freundschaft - obwohl das trinitarische Dogma (die Lehre vom dreieinigen Gott - d.R.) die Trennungslinie zwischen Judentum und Christentum deutlicher markiert als zwischen Judentum und Islam. Das gemeinsame Bekenntnis zu dem einen Gott ist für Juden und Muslime die Grundlage für eine starke Verbindung zueinander. Daraus ergibt sich eine konkrete politische Aufgabe für uns Juden in Deutschland: Muslimen, die ähnlich wie das Judentum im 19. Jahrhundert um ihre Emanzipation kämpfen müssen, dabei behilflich zu sein, sich zu integrieren und in der Gesellschaft Anerkennung zu finden.
Sie bemühen sich hier in Deutschland um ein Miteinander. Warum klappt das woanders nicht, etwa in Israel und Gaza?
Ähnlich wie andere religiös unterlegte Konflikte hat dieser Konflikt auch andere, politische Wurzeln. Insofern wäre es verfehlt zu glauben, dass, nur weil der Nahost-Konflikt momentan so brennend ist, das Verhältnis des Judentums zum Islam schwieriger sei als zum Christentum. Das wird ja gemeinhin angenommen, auch von Christen. Dazu kann ich nur sagen: Unser Verhältnis zum Christentum war bis Anfang des 20. Jahrhunderts äußerst belastet. Erst in den 30er Jahren hat es sich langsam entspannt, aber es gab sehr viele, von beiden Seiten deutlich herausgestellte, theologische Unterschiede. Das gute Verhältnis von Judentum und Christentum in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist ein sehr junges Pflänzchen, ich führe es auch auf die Scham über den Holocaust zurück, also gespeist vom Gefühl der christlichen Kirchen, angesichts des Naziterrors versagt zu haben. Das Verhältnis des Islam zum Judentum war dagegen in ganz entscheidenden, auch geschichtlichen Phasen sehr freundschaftlich, geprägt von Innigkeit und Hilfsbereitschaft.
Ganz offensichtlich teilen Sie die Meinung des Bundespräsidenten, dass der Islam zu Deutschland gehört.
Deutschland ist ein pluralistisches Land, in dem alle Religionsgemeinschaften die Freiheit der Religionsausübung haben. Also müssen sie auch eine Teilhabe an den Möglichkeiten bekommen, diese Religionsausübung zu organisieren. Dazu gehören strukturelle Anpassungen, die es zum Beispiel ermöglichen, den Körperschaftsstatus zu erlangen, überhaupt als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Juden haben da gegenüber Muslimen einen gewissen Vorteil, weil sie schon integriert sind. Hier haben wir eine ganz praktische Möglichkeit, Muslimen dabei zu helfen, sich entsprechend zu organisieren.
Sie geben Tipps?
Wir haben gute Beziehungen zu den meisten Vertretern von Religionsgemeinschaften im Islam, etwa dem Zentralrat der Muslime oder zur DITIB (Türkisch-Islami- sche Union der Anstalt für Religion e.V.). Umgekehrt profitieren wir Juden aber auch von den Muslimen. Eines der Probleme, die mich zur Zeit sehr beschäftigen, ist die Theologenausbildung an deutschen Universitäten. Hier sind wir mit den Muslimen sehr eng verbunden, denn die Akademisierung der Imam-Ausbildung in Deutschland war ja der Grund für diese ganze Debatte. DIE LINKE in Brandenburg, Thüringen und Berlin hat eine enorme Hilfestellung geleistet, um deutlich zu machen, dass das Judentum bei seiner Theologenausbildung den Islamischen Zentren wie den christlichen Kirchen gleichgestellt werden muss.
Sie wollen, dass das Abraham Geiger Kolleg Teil der Potsdamer Universität wird?
Bisher sind wir lediglich ein An-Institut. Die christliche Theologenausbildung hat an der deutschen Hochschule eine jahrhundertelange Tradition, und deren Organisationsform ist die einer eigenständigen Falkultät. Das bedeutet zum einen, dass der Staat diese Professoren bezahlt, zum anderen, dass diese Professoren nur im Einverständnis mit den Kirchen berufen werden können. Nun hat Bundesbildungsministerin Schavan 2010 die Initiative ergriffen: Auch Imame sollen in deutschen Hochschulen ausgebildet werden und der Islam die Rechte bekommen, die bisher schon die Kirchen hatten. Für die akademische Ausbildung von Rabbinern heißt dies; Wir haben aktuell nicht dieselbe stabile Struktur einer eigenen Fakultät mit Selbstbestimmungsrecht, der Fähigkeit, den eigenen akademischen Nachwuchs zu generieren und der Möglichkeit der Religionsgemeinschaft, an der Berufung der Professoren mitzuwirken.
Wir haben in Deutschland eine gewisse Trennung von Staat und Kirche. Wie passt eine universitäre Theologenausbildung dazu?
Der deutsche Wissenschaftsrat hat über 150 Seiten darauf verwendet zu erklären, warum es sinnvoll ist, die Theologie im Konzert der anderen Wissenschaften integriert zu behalten, und warum es aus gesellschaftlicher Sicht überhaupt nicht sinnvoll ist, sie in eigene Einrichtungen abzudrängen. Nach den Ausführungen des Rates profitieren davon zum einen die anderen Wissenschaften, die dadurch in ethisch-moralischen Fragestellungen unterstützt werden. Zum anderen werden fundamentale Entwicklungen verhindert. Aber auch die Religionen selbst ziehen Gewinn daraus, weil unabhängige Theologen an Hochschulen auch kritisch denken können, die Freiheit der Wissenschaft ein Motor für eine aufgeklärte Ausübung von Religion ist.
Ich entsinne mich übrigens, dass es auch in der DDR eine staatliche Theologenausbildung gab. Ich selbst habe 1989 ein Semester lang mit einem Promotionsstipendium des Deutschen Akademischen Aus- tausch Dienstes an der Sektion Theologie der Karl-Marx-Univer- sität Leipzig studiert.
Warum sind Sie Rabbiner geworden?
Anfang der 80er Jahre glaubten wir, dass in den jüdischen Gemeinden Deutschlands das Licht ausgeht. Aber ich fand es als 14-, 15-Jähriger dennoch wichtig, dass es Menschen gibt, die uns jungen Juden ein positives Verhältnis zu ihrem Judentum vermitteln können. Nicht nur eines, das sich aus dem Verlust von Familienmitgliedern in der Schoah speist oder aus einer Liebe zum Staat Israel, sondern das auch die Schönheit der jüdischen Religion bewusst macht. Keiner hat damals gewusst, dass durch den Fall der Mauer das Judentum in Deutschland zur am schnellsten wachsenden jüdischen Gemeinschaft weltweit werden würde. Vielleicht hat da doch ein Höherer seine Hände im Spiel.
Was haben Sie während des Besuches von Papst Benedikt XVI. in Deutschland gemacht? Sie beide sind nicht unbedingt Freunde.
So würde ich das nicht sagen. Aber es stimmt: 2008 habe ich meine Teilnahme am Katholikentag in Osnabrück abgesagt, nachdem Papst Benedikt im Februar des selben Jahres eine persönliche Neuformulierung der lateinischen Karfreitagsfürbitte für die Juden vorgenommen hatte, die eine Billigung der Judenmission impliziert. Man muss wissen, dass Karfreitag ein schwarzer Tag war für jüdische Gemeinden - ein beliebter Tag für Pogrome. Ich anerkenne den Respekt des Papstes vor dem Judentum als Wurzel des Christentums. Aber das Judentum darf nicht nur als geschichtliche Größe wahrgenommen werden, als älterer Bruder des Christentums, sondern auch als eine lebendige Religion mit verschiedenen Strömungen, die ganz im Heute steht.
Was ich während des Papstbesuches gemacht habe? Ich war zu seiner Rede vor dem Bundestag eingeladen, als Gast der Linksfraktion. Auch zur anschließenden Begegnung des Papstes im kleinen Kreis mit Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft hatte mich die Deutsche Bischofskonferenz eingeladen. Über die herzliche Verbundenheit mit Bischöfen der Kurie und der Weltkirche habe ich mich sehr gefreut. Ich nehme das Gefühl mit, dass Dialog auch kritische Begleitung bedeuten kann.
Sie wurden schon vielfach ausgezeichnet, u.a. sind Sie Ritter der französischen Ehrenlegion und Cavaliere des Verdienstordens der Italienischen Republik. Kürzlich wurde Ihnen das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold verliehen. Warum?
Als Oberstleutnant der Reserve bin ich beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr als Experte für religiöse Fragen beordert. So brachte das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr in Strausberg eine sehr erfolgreiche Handreichung zu den Weltreligionen heraus, an der ich mitarbeiten durfte. Mir ist eine Bundeswehr wichtig, in der die Freiheit der Religionsausübung Wirklichkeit ist. Lange war die Geschichte von Juden in deutschen Streitkräften eine Geschichte der Diskriminierung. Walter Rathenau war als Politiker der Weimarer Republik gesprägt von der demütigenden Erfahrung, im Kaiserreich nicht Reserveoffizier werden zu dürfen. Wenn Sie sich an Carl Zuckmayrs »Hauptmann von Köpenick« erinnern, dann wissen Sie, Zivilisten waren Bürger zweiter Klasse. Für mich persönlich ist es eine Genugtuung, in der Bundeswehr einen Dienstgrad innezuhaben, der Juden in deutschen Streifkräften weitgehend verwehrt war. Ich engagiere mich, damit deutlich wird: Die Bundeswehr ist die Armee einer Demokratie und als solche Spiegel unserer pluralistischen Gesellschaft. Dies kommt nicht zuletzt auch den etwa 2000 muslimischen Wehrdienstleistenden zugute.
Wie stehen Sie zu religionslosen Menschen?
Im Jerusalemer Talmud findet sich die Äußerung, dass Gott unseren Glauben nicht braucht. Gott ist Gott, auch wenn der Mensch ihn nicht als Gott anerkennt. Aber wenn wir gerecht handeln und seine Welt bewahren helfen, dann rechnet er es den Menschen an, als haben sie an ihn geglaubt. Das bedeutet, dass unser ethisches Verhalten Vorrang hat vor Glaubensfragen. Diese Priorisierung öffnet den Weg für eine Zusammenarbeit aller, die guten Willens sind. Gott braucht Komplizen, die sich um unsere Welt und unser solidarisches Zusammenleben darin sorgen. Es ist ihm egal, woher wir Kraft und Schwung dafür nehmen. Und wenn es Gott egal ist, kann es mir doch auch egal sein.
Interview: Christina Matte
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