»Ihr repräsentiert uns nicht«
Gegen den G20-Gipfel protestierten tausende Globalisierungskritiker in Nizza
»Wer sind die wahren Randalierer?« Auf diese rhetorische Frage hat Gildas Jossec gleich eine Antwort parat: die G20. »Ein paar Scheiben sind schnell repariert, die Staatschefs der mächtigsten 20 Staaten zerstören aber gerade unsere Zukunft und die unserer Kinder«, schimpft der Sprecher des Bündnisses gegen den Gipfel. Er hat zusammen mit Globalisierungskritikern aus ganz Europa die Proteste organisiert.
Zum Auftakt des Treffens der Staats- und Regierungschefs der 20 mächtigsten Industrie- und Schwellenländer protestierten am Dienstag laut Polizei rund 5000 Menschen in Nizza gegen die Diktatur der Finanzmärkte, für eine gerechte Verteilung des Reichtums und mehr Demokratie. Das bunte Völkchen zog weitgehend friedlich durch Nizza, das 30 Kilometer von Cannes entfernt liegt. Auf Spruchbändern wurde immer wieder die Einführung einer Finanztransaktionssteuer gefordert, auch »Indignados« waren unter den Protestierenden und verkündeten: »Ihr repräsentiert uns nicht«.
Nicht nur viele Europäer, sondern auch Aktivisten aus Korea, Japan und den USA waren angereist. Im Vorfeld wurden drei Spanier festgenommen, die angeblich Gasmasken, Bolzen und Eispickel bei sich getragen hätten. Über 12 000 Polizisten sind im gesamten Departement Alpes Maritimes im Einsatz, nach Nizza wurden 2500 zusätzliche Einsatzkräfte geschickt. Seit dem Wochenende war die italienisch-französische Grenze verstärkt kontrolliert worden.
Organisiert werden die G20-Proteste durch ein europäisches Bündnis von Globalisierungskritikern wie Attac aber auch sozialen Initiativen, der Friedensbewegung, Menschenrechts- und Umweltorganisationen. Sie sind nach Südfrankreich gekommen, um das herrschende ökonomische und politische System lauthals in Frage zu stellen. Einigkeit herrscht dabei nicht nur über die Ablehnung der G20 als Institution sowie ihrer Politik, sondern die Initiatoren haben auch einen gemeinsamen Forderungskatalog auf die Beine gestellt: Sie streiten für internationale soziale und ökologische Standards, ein Ende der »Instrumentalisierung« der Schuldenkrise für Sozialabbau und der Verteilung von unten nach oben, für die Entmachtung der Finanzmärkte durch die Schließung von Steueroasen und der mittlerweile populären Forderung einer weltweiten Finanztransaktionssteuer sowie für gerechten Welthandel und mehr demokratische Kontrolle.
Die gestrigen Demonstrationen waren der Auftakt dreitägiger Proteste. Ab heute wird mit Worten statt mit Füßen Widerstand geleistet: Im »Volksforum« wird auf Podien und in Seminaren diskutiert. »Wir haben den Gegengipfel bewusst nach Nizza verlegt und wir haben nicht vor, den Gipfel in Cannes mit Gewalt zu stören«, erklärt Bündnissprecher Jossec. Die Eroberung der »roten Zone« wie auf den G8-Gipfeln in Heiligendamm oder Genua sei nicht im Interesse der Mehrheit der Gegengipfelteilnehmer. Stattdessen wollen die Aktivisten am Mittwoch und Donnerstag in zahlreichen Veranstaltungen über Alternativen zum Krisenmanagement der Regierungen und über Auswege aus der weltweiten sozialen und ökologischen Krise debattieren. Neu mit dabei sind auch die »Indignados« und die »Occupy-Wall-Street«-Bewegung. »Thematisch haben wir viel mit diesen jungen Bewegungen gemeinsam«, so der Sprecher des Gegengipfels. Unterscheiden würden sie sich jedoch von der Art der Organisierung: Während die »Empörten« und die »Wall-Street-Besetzer« eher individuelle und spontane Organisationsformen hätten, sei der Gegengipfel eher klassisch organisiert: mit geladenen Gästen und Debatten, Kulturveranstaltungen und großen Podien. Die »Indignados« haben ihrerseits angekündigt, eine eigene Volksversammlung auf einem zentralen Platz in Nizza zu veranstalten, ihr Motto: »Ihr seid 20, wir sind Milliarden.«
Vor elf Jahren protestierten schon mal 100 000 Menschen in Nizza gegen neoliberale Politik: gegen den EU-Gipfel und die dort anvisierte Liberalisierung von Dienstleistungen und Welthandel sowie die Aufstellung einer europäischen Armee. Heute wie damals sind beide Seiten unversöhnlich - allerdings hätte man sich im Jahr 2000 kaum träumen lassen, dass konservative Politiker wie Nicolas Sarkozy und Angela Merkel für die Kontrolle der Finanzmärkte eintreten und sogar eine Transaktionssteuer einführen wollen.
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