Macht »Kirmes« Nazis kirre?

Schenkenländchen gegen Helden-Gedenken - Halbe feiert lieber Vielfalt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Jedes Jahr im November dieselbe Frage: Marschieren sie wieder? Über Jahrzehnte hat sich die NPD zum Volkstrauertag am 13. November das Aufmarschrecht vor Deutschlands größtem Soldatenfriedhof im brandenburgischen Halbe gesichert. Die Bürger des Ortes wehren sich - und feiern tags zuvor lieber ein Fest.
Neue Gräber in Halbe, 66 Jahre nach dem Ende des Infernos.
Neue Gräber in Halbe, 66 Jahre nach dem Ende des Infernos.

Der Waldfriedhof im Morgennebel. Zwei Frauen harken Laub, eine dritte spannt Schnüre für neue Gräber. Am heutigen Freitag werden die Gebeine von siebzig ehemaligen deutschen Soldaten, die man irgendwo in den vergangenen Wochen in der Region gefunden hat, begraben. Alle in Reih' und Glied - selbst 66 Jahre nach dem Tod. Die Erde wird ihnen leicht sein. Es ist märkischer Sand. Der verhindert falsches Pathos, denn er lässt auf dem Waldfriedhof nur Gras und Kiefern wachsen.

In Halbe sind bereits über 28 000 Opfer des Zweiten Weltkrieges beerdigt. Es handelt sich vor allem um im Kessel von Halbe Getötete, auch hingerichtete Deserteure der Wehrmacht sowie Zwangsarbeiter und zwischen 1945 und 1947 Verstorbene aus dem sowjetischen Speziallager Ketschendorf »ruhen« da. Die, die hier leben, haben keine Ruhe, seitdem alte und Nachwuchsnazis hier nach der Wende den rechten Platz für ihr »Heldengedenken« ausgemacht haben.

Thomas Koriath, der neue Amtsdirektor im sogenannten Schenkenländchen, weiß nicht, wie viele organisierte Rechtsradikale sich in seinem Verantwortungsbereich tummeln. Doch er hofft darauf, dass die NPD ihre bislang nur mündlich eingegangene Aufzugsabsage einhält. Denn was geschieht, wenn sie wieder marschieren, wissen die Einwohner von Halbe aus vergangenen Jahren. Viele Nazis, viele Antifaschisten, noch mehr Polizei ... Die Einwohner machen dann nicht nur ihre Haustüren dicht.

Seit einigen Jahren wehren sich die Bürger aber gegen das Halbe-Stigma mit einem - wie betont wird - gewachsenen Fest der Demokraten. Man will nicht »gegen etwas«, man will »für Toleranz« sein, denn, so das Motto: »Vielfalt »tut gut!« So wie Livebands, Tanzshows, Kulinarisches aus der Region ...

Macht man mit Kirmes Nazis »kirre«? Die Organisatoren, die LINKE, SPD, CDU, Grüne, FDP, DKP und neuerdings die Piraten unter einen Hut bringen, wehren sich gegen diese Sicht von außen. Nein, man will natürlich - und so steht es im Gemeinsamen Aufruf des Aktionsbündnisses Halbe - auch an diesem Tag deutlich machen, dass in der »Region und in der gesamten Bundesrepublik kein Platz für Fremdenfeindlichkeit, Völkerhass, Rechtsextremismus, Naziaufmärsche und Heldengedenken ist«.

Kein Platz? Ein Irrtum - wie sich schon wenige Kilometer entfernt, in der Friedrichstraße von Märkisch Buchholz, zeigt. Dort hat NPD-Kreischef Sven Haverlandt ganz legal ein Haus gekauft, das als »nationales Jugend- und Freizeitzentrum« genutzt wird. In Halbe selbst wohnt ein Anführer sogenannter »Freier Kräfte«, die in Königs Wusterhausen und Zossen ihr politisches Unwesen treiben. »Die NPD versucht auch hier einen Fuß ins Gemeindewesen zu bekommen«, sagt Kathrin Veil-Feldt, die sich im Amtsbereich um Jugendarbeit kümmert. Ist dem mit der Seniorentanzgruppe »Flotte Spätlese« oder per Drehorgel beizukommen?

Natürlich nicht. Doch Barrikaden und Blockaden schreckten Bürger ab, sagen die Festorganisatoren. Und wen sollte man wo blockieren, wenn die Nazis Halbe meiden? Da sei es gescheiter, Alternatives zu bieten: »Lehrstellen statt Marschübungen, Jobs statt Paintball-Manöver«, meint Veil-Feldt. Deshalb sei es wichtig, dass regionale Arbeitgeber vielfältig Gesicht und Standpunkt zeigen.

»Es muss schon alles ein bisschen volkstümlich sein«, betont Vize-Bürgermeister Michael Schnicke. Zudem ist es ja nicht so, dass nur gefeiert wird. Es gebe auch Lesungen über die Schrecken des »Endsieges« bei Halbe und die Abendandacht in der Kirche.

So friedlich hatte man sich den Schutz der Demokratie auch etwas nordwärts gedacht. Neuruppin bleibt bunt, sagten auch dort die Bürger. Doch mischte sich ins Bunte eben zu viel braunes Volk. Dort kamen sie, die »Freien Kräfte« - ordentlich angemeldet .

Am 24. September machte ihnen die Polizei die Straße frei, räumte menschliche Barrikaden, sperrte Antifaschisten - wie einst beim Protest in Halbe - in »Kessel«. Auch Wochen nach dem Aufeinanderprallen von Anstand und Macht gibt es keinen sachlichen Dialog über das Geschehen. Im Gegenteil, man bekämpft sich per Anzeigen, bestätigt Martin Osinski, einer der Neuruppiner Bündnisschmiede. Demnächst werden rund 250 Ermittlungsverfahren gegen Demonstranten eröffnet. Auch drei Beamte haben sich wegen Hausfriedensbruch, Körperverletzung und Nötigung zu verantworten. Doch insgesamt verteidigt Innenminister Dietmar Woidke von der SPD das staatliche Vorgehen und beschuldigte das Bürgerbündnis, dem gemeinsamen Kampf gegen den Rechtsextremismus einen »Bärendienst« erwiesen zu haben. Er forderte vom Bürgerbündnis mehr Fantasie - und Vielfalt. Schlimm, was da geschah, sagen die Vielfalt-Veranstalter in Halbe. Ihr Solidaritätsgefühl scheint dennoch schwach. Die Neuruppiner hätten vielleicht bessere Absprachen mit der Polizei treffen und eben dann auch mal die Straße räumen müssen, wenn der Rechtsstaat es verlangt.

Nazifrei wird der Volkstrauertag in Halbe dennoch nicht verlaufen. Am Sonntag, wenn Grills, Buden und Karussells abgebaut werden, gibt es auf dem Waldfriedhof ein stilles Gedenken für die Opfer des Krieges. Zwischen all den Kränzen wird wieder einer der NPD liegen. Die in Recht gegossene politische Vielfalt unserer Gesellschaft lässt das zu ...

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