Occupy-Wall-Street am Scheideweg
Die Bewegung der Kapitalismuskritiker sieht sich verschärfter Repression und internen Problemen ausgesetzt
Ob Oakland oder New York - die Polizei verschärft ihr Vorgehen gegen die kapitalismuskritischen Demonstranten von Occupy-Wall-Street (OWS). So wurden in New York am Samstag bei Protesten gegen Banken zwei Dutzend Menschen festgenommen. Als Grund gab die Polizei an, sie hätten die Bürgersteige blockiert. Bisher waren Festnahmen erfolgt, wenn Demonstranten statt auf den Bürgersteigen die Fahrbahnen blockierten.
Hinter den harschen Methoden stecke der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg, mutmaßten mehrere Leser der »New York Times« in Kommentaren. Der Multimilliardär gibt sich tatsächlich in den letzten Tagen wieder einmal als Hardliner. Gegen das Protestlager im Manhattaner Zucchotti-Park, in dem nachts unweit der Wall Street seit sieben Wochen mehrere hundert Menschen übernachten, »muss vorgegangen werden«, tönte er zum Wochenende. Der Grund: Angeblich kann die in Lower Manhattan lebende Gemeinde die Occupy-Wall-Street-Leute nicht mehr ausstehen, er - Bloomberg - sehe sich deshalb gezwungen, etwas zu unternehmen.
Gemeint ist damit: Räumung. Die rechte Presse, etwa die »New York Post«, fordert die Auflösung des Lagers seit Tagen. Publizistische Nahrung erfuhr das Gedröhne der Pro-Wall-Street-Fans durch die Ereignisse im kalifornischen Oakland. Dort hatten sich in einen stundenlang friedlichen Generalstreik, an dem bis zu 30 000 Menschen teilnahmen, abends mehrere Dutzend selbst ernannte Militante gemischt, die gegen den Beschluss der »Vollversammlung« Scheiben von Banken einschlugen und für die entsprechenden Bilder von Gewalt und Chaos sorgten.
Aber auch die Urbesetzung im New Yorker Zucchotti-Park ist nach sieben Wochen nicht frei von internen Problemen. Letzte Woche wurden zwei schwere sexuelle Angriffe bekannt, die sich innerhalb des Zeltlagers zutrugen. Am vergangenen Wochenende belästigte ein 26-Jähriger nachts eine 18-Jährige in ihrem Zelt, morgens darauf vergewaltigte er eine andere 18-Jährige. So lauten jedenfalls die Anzeigen gegen den Mann aus Brooklyn, die der Staatsanwaltschaft vorliegen. Letzten Dienstag wurde er von der Polizei festgenommen, nachdem die Frauen sich zu Aussagen entschieden hatten. Die OWS-Vollversammlung diskutierte die Vorfälle und kam mit einer Erklärung heraus, in der es unter anderem heißt, die Besetzung existiere »innerhalb einer weit gefassten Kultur, in der sexuelle Übergriffe alltäglich sind«. Inzwischen gibt es ein Übernachtungszelt ausschließlich für Frauen.
Neben den zunehmend kälteren Temperaturen hat OWS mit einem weiteren internen Problem zu kämpfen: mit »externen« Übernachtungs- und Besetzungsgästen, die sich nicht integrieren lassen. Denn manche Urbesetzer nehmen nicht mehr oder nur noch sporadisch am OWS-Alltag teil. Stattdessen steigt die Zahl von Obdachlosen, Drogenabhängigen und schlichtweg Gelangweilten, die die Gratismahlzeiten und Gratis-Winterkleidung in Anspruch nehmen, ohne sich »einbringen« zu wollen. Der 23-jährige Patrick Bruner, der im OWS-Medienkomitee arbeitet, bezeichnet gegenüber ND das Außenseiter-Problem als »ernst«.
Bei linken Akademikern herrscht die Meinung vor, dass die Bewegung ihre Taktik bald ändern muss. Der Soziologieprofessor Jeff Goodwin von der New York University argumentiert beispielsweise, dass das Zelten im Park und urdemokratische Vollversammlungen alleine »auf die ein Prozent keinen Druck ausüben«. Es sei undenkbar, dass eine Bewegung in den USA etwas erreichen kann, wenn sie die Gesetzgeber nicht »herausfordert«. David S. Meyer, ebenfalls ein Soziologieprofessor, warnt vor den Fehlern ähnlicher urdemokratischer Bewegungen in der Vergangenheit. Die Antiatombewegung etwa oder der linke Studentenverband SDS und andere Bewegungen seien entweder »zerfallen oder von einer straff organisierten Fraktion im Inneren übernommen« worden. Fortschritte hätten letztendlich alle Bewegungen erzielt, sagt Meyer, aber »ihren Erfolg konnten sie nicht überleben«. Doug McAdam von der Eliteuni Stanford hebt dagegen die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung hervor, die keine zentral gesteuerte Struktur hatte. Für ihre Gegner sei es immer sehr viel schwerer, eine Bewegung und damit ihren Erfolg zu unterdrücken, wenn sie »viele Köpfe hat«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.