Geplündert nach der Brandnacht
Auf der Suche nach verlorenen Schätzen – im Centrum Judaicum
Am Anfang war eine kleine Annonce: »Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gibt sich die Ehre, zu der Dienstag, den 24. Januar 1933, 17 ½ Uhr, in den neuen Räumen (Oranienburger Straße 31, im ersten Stock) stattfindenden Eröffnung des Jüdischen Museums ergebenst einzuladen.«
Kaum zu glauben: Sechs Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde in der Reichshauptstadt das erste jüdische Museum der Moderne eröffnet. Zahlreich erschienen die Honoratioren jüdischen Lebens in Berlin. Max Liebermann schenkte dem Museum ein Selbstporträt. Es ist nunmehr, zusammen mit anderen Werken, an historische Stätte zurückgekehrt, zu sehen in einer Sonderausstellung im Centrum Judaicum, das sich dem Erbe des ersten jüdischen Museums in Berlin verpflichtet fühlt. Das Museum befand sich in direkter Nachbarschaft zur Neuen Synagoge. Auch sie stand in der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 in Flammen. Und hätte es nicht den beherzten Reviervorsteher Wilhelm Krützfeld gegeben, wer weiß ... Das Feuer hätte womöglich auch die Schätze des Museums für immer zerstört.
Bis zu dessen gewaltsamer Schließung am 10. November 1938 war es für die aus der Gesellschaft sukzessive ausgegrenzten, diskriminierten und drangsalierten Juden eine Oase der Identitätsstiftung, der Besinnung und Behauptung einer stolzen Kultur und Geschichte - wider ein zunehmend nihilistisches, feindliches, aggressives Umfeld. Am 11. November 1938 sollte eine Ausstellung unter dem Motto »Jüdische Künstler erleben die Bibel« ihre Pforten öffnen, in der - wie in der ersten Schau - Werke von Lesser Ury vertreten gewesen wären. Doch dazu kam es nicht mehr.
Urys einst in der Eingangshalle des Museums hängenden, Arnold Zadikows Bronzeplastik »David« Gesellschaft leistenden großformatigen Gemälde »Jeremias« und »Moses sieht das Gelobte Land vor seinem Tode« sind verschollen. Im Centrum Judaicum erinnern Fotokopien auf Leinwand an sie. Auch Samuel Hirszenbergs Bild »Sie wandern«, eine Reminiszenz an die Diaspora der Ahnen, ist noch nicht wieder aufgefunden. Sie wirkt wie eine düstere Prophezeiung der Deportationen in deutsch-faschistische Vernichtungslager. Ebenso scheinen andere, in den 20er/Anfang der 30er Jahren geschaffene, in dunklen Farben gehaltene, Schwermut verströmende Bilder vom nahenden Ungeheuerlichen, Unfassbaren zu künden. Sah der »Prophet« von Jacob Steinhardt bereits die Millionen Gepeinigten, Geschundenen, Gemordeten? Was wurde aus dem Jungen, dessen Schulaufsatz über den Besuch des Museums in noch ungelenker Handschrift hier auf vergilbtem Papier zu lesen ist? Was aus den Schulklassen, die andächtig den Erläuterungen der Lehrer lauschten? Die alten Fotografien schweigen.
Das bedrückte Herz darf aufjauchzen angesichts Henryk Barcinskis listig-lustigen »Juden mit der Torarolle«. Dieses farben- und lebensfrohe Bild kehrte als Leihgabe des Israel Museums von Jerusalem an die Spree zurück. Marc Chagalls »Jude im Gebet« (1914), den Gründungsdirektor Karl Schwarz 1929 für 600 RM erworben hatte, fehlt indes der Schau auf der ehemaligen Frauenempore der Neuen Synagoge; er ziert eine neue Ausstellung in Jeruschalajim.
280 Gemälde aus der Sammlung des Museums waren nach dem Krieg in der Trümmerlandschaft Berlins entdeckt worden. »Ein wiedergefundener Schatz« titelte die in den USA erscheinende Exil-Zeitung »Aufbau« am 27. Dezember 1946 einen frohlockenden Artikel von Franz Landsberger, dem letzten Direktor des Berliner Jüdischen Museums, der in der Pogromnacht verhaftet und ins KZ Sachsenhausen verschleppt worden ist und hernach glücklich emigrieren konnte. Der unverhoffte Nachkriegsfund machte nur einen Bruchteil der einst reichen Sammlung aus. Hermann Simon, Direktor des Centrum Judaicums, meint, dass sie in den zwei Jahren nach dem Feuerfrevel geplündert und an verschiedene Orte verbracht worden ist. Denn eine Feuerversicherung (!) für das Haus Nr. 31 in der Oranienburger vom 12. Oktober 1940 vermerkte den »Wegfall« der bis dato mit 200 000 RM versicherten Sammlung.
Nach dem Krieg fanden sich u. a. im Keller der NS-Reichskulturkammer zwei Liebermanns, das »Selbstporträt« sowie ein Bildnis der Kaufmannsgattin Lola Leder. Steinhardts »Prophet« tauchte in den 60er Jahren am Chiemsee wieder auf. Eine regelrechte Odyssee hat »Frau Enoch aus Scieracz« hinter sich. Die entzückende Miniatur weist auf der Rückseite diverse Marken und Marginalien auf. Simon vermutet, dass sie nach der Befreiung vom Faschismus in die Sowjetunion gelangte und Mitte der 50er Jahre zusammen mit anderen Kunstwerken an die DDR zurückgegeben wurde. 1983 habe er »Frau Enoch« erstmals bewundern dürfen - im Büro des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde von Ostberlin, Peter Kirchner. Sie befand sich im Panzerschrank, den jener von seinem Vorgänger im Amt übernommen hatte. Simons seinerzeit erschienene Publikation über die verlorene Sammlung des Jüdischen Museums hatte die Zugehörigkeit der Dame gelüftet.
Das einzige Stück, das aus dem Bestand des Jüdischen Museums in den Wirren der Zeit unterm Dach der Berliner Jüdischen Gemeinde verblieb, ist ein schwerer Toravorhang aus rotem Samt, gülden bestickt. Er war von Daniel Itzig und dessen Frau Miriam 1764 der Synagoge in der Heiderautergasse, dem ältesten Gotteshaus der Berliner Juden, gestiftet worden. Von dort stammt auch das kupferne Waschgefäß, das es nach Warschau verschlagen hatte. Verschollen sind nach wie vor unzählige Bilder, Skulpturen, Medaillen, archäologische Artefakte und Kultgegenstände. Deshalb bleibt Hermann Simon emsig und geduldig weiter auf der Suche nach der verlorenen Sammlung des ersten Jüdischen Museums von Berlin.
»Auf der Suche einer verlorenen Sammlung«, bis 31.12., Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum, Oranienburger Str. 28/30, 10117 Berlin, So-Do 10-18 Uhr, Fr. 10-14 Uhr, Sa. geschlossen; Katalog 20 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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