Trotz Blutspur nicht bemerkt

Rechte Terroristen sind unterwegs - wie viel weiß der Verfassungsschutz darüber?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.
Gerade hat sich die regierende Politik Räume geschaffen, um mit Verweisen vor linksextremer Gewalt zu warnen, da wird offenbar: Ja, es gibt Terrorzellen - aber auf der Seite der Rechtsextremisten! Wenn Politiker und Sicherheitsbehörden sich jetzt überrascht, ja geschockt zeigen, dann nur, weil sie diese Gefahr bestritten, zumindest aber bagatellisiert haben.

Sie waren ebenso grausam wie kaltblütig. Sie planten ihre Operationen voller Hass und dennoch professionell. Bis ins Detail gnadenlos. Und sie lebten - mit zwei Katzen - unauffällig im brav-bügerlichen Zwickauer Weißenborn: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Wer was im Einzelnen getan hat, müssen die Ermittler noch klären. Es geht um den Mord an einer Heilbronner Polizistin, um die tödlichen Anschläge auf acht türkische und einen griechischen Händler zwischen 2000 und 2006. Geklärt werden müssen die Hintergründe eines Bombenanschlags in Köln, bei dem 22 Menschen verletzt wurden, sowie die eines Anschlags auf jüdische Aussiedler an einer S-Bahn-Haltestelle in Düsseldorf im Jahr 2000. Auch die Bombenanschläge auf die Wehrmachtsausstellung im März 1999 in Saarbrücken und auf den jüdischen Friedhof in Berlin-Charlottenburg 2002 sollen noch einmal aufgerollt werden. 14 oder mehr Banküberfälle zeigen die Handschrift der zwei männlichen Neonazis. Die Tatorte der Terrortruppe sind über das ganze Bundesgebiet verteilt: Stralsund, Rostock, Dortmund, Köln, Saarbrücken, Kassel, Eisenach, Arnstadt, Zwickau, Chemnitz, Heilbronn, Nürnberg, München ...

Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben auf vier DVDs ein Art Geständnis hinterlassen. Man fand die brisanten Silberscheiben neben anderem Beweismaterial in der gemeinsamen Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße. Die war - kurz nachdem die beiden Nazi-Terroristen in Eisenach Selbstmord begangenen hatten - offenbar von ihrer Mitbewohnerin Beate Zschäpe in die Luft gesprengt worden. Per Videos dokumentieren die Killer die Blutspur des »Nationalsozialistischen Untergrunds«. Zugleich kündigten sie in dem 15-minütigen Machwerk, das sich - so Ermittler - zwischen infantilem Gehabe und rassischem Machtwahn bewegt, weitere Anschläge an. Solange sich »keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit« vollzögen, würden »die Aktivitäten weitergeführt«, zitiert der »Spiegel« aus dem Streifen. Offenbar waren die DVDs bereits in Umschläge gesteckt, weil sie an Medien und islamische Kulturzentren verschickt werden sollten.

Uwe Böhnhardt, als Bauhilfsarbeiter meist arbeitslos, war angeblich der Militante, Professorensohn Uwe Mundlos der Intellektuelle. Und Beate Zschäpe sicher nicht nur Mitläuferin. Die drei bauten in den 90er Jahren Bombenattrappen. 1997 wurde gegen sie und ein Dutzend weiterer Mitglieder des rechtsradikalen »Thüringer Heimatschutzes« ermittelt. Die drei Unzertrennlichen gehörten zur Jenaer Truppe der »Heimatschützer«, waren stadtbekannt in einer Zeit, da Linke, Gewerkschafter, Journalisten, Kirchenleute Morddrohungen in ihren Briefkästen fanden. Das Trio wurde von der Polizei vernommen und wieder freigelassen. Im Jahr darauf tauchten sie unter, als Fahnder nach einem Verfassungsschutz-Tipp in der Garage von Beate Zschäpe fünf funktionsfähige Rohrbomben und 1,4 Kilo Sprengstoff entdeckten. Der geplante Zugriff fiel aus. Das Trio war abgetaucht. Seither fehlte angeblich jede Spur von den Nazis.

Wer warnte sie, wer unterstützte sie, wer besorgte saubere Dokumente? Und warum sammelten die Nazis so viel Trophäen ihrer Überfälle und Mordtaten in der gemeinsamen Wohnung, statt sie zu vernichten? Damit Beate Zschäpe sie in die Luft sprengt, wohl wissend, dass sie damit die Beweismittel - also Pistolen, Handschellen oder DVD - nicht vernichten kann? Warum stellte sich die junge Frau der Polizei, will nun angeblich einen Deal als Kronzeugin aushandeln? Hat vielleicht auch sie Angst vor ihrem drohenden »Selbstmord«?

Die Fragen richten sich vor allem an den Verfassungsschutz. Vermutlich nicht so sehr an das Thüringer Landesamt, das nach jahrelangen inneren Skandalen offenbar in die Untätigkeit abgedriftet ist. Waren die hessischen Verfassungsschützer an dem Trio »dran«? Einen Mitarbeiter des Amtes hatte die Polizei nach dem Mord an einem türkischen Imbiss-Inhaber in Kassel kurzzeitig am Tatort festgenommen. Oder war der »Zwickauer Fall« in Sachsen oder gar beim Kölner Bundesamt angebunden? Was ahnt CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl, wenn er gegenüber Medien mutmaßt, dass sich die Ermittlungen leicht zu einer Verfassungsschutzaffäre ausweiten könnten? Hilft die Bundesanwaltschaft beim Ermitteln oder vertuscht sie wie zu RAF-Zeiten all das, was Staatsbezüge ergeben könnte?

Es ist schließlich nicht neu, dass sich aus observierten »Freien Kräften« Terroristen rekrutieren, die dann als führerlose Aktionsgruppen Anschläge verüben. Es war der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU), der den Begriff von der »Braunen Armee Fraktion« in die Debatte brachte. Anlass war damals der Nazi Martin Wiese, der 2003 zur Grundsteinlegung des Jüdischen Zentrums in München einen Anschlag geplant hatte. Noch immer fragwürdig sind die Ermittlungsergebnisse im Fall des tödlichen Oktoberfest-Attentats 1980. Aus irgendeinem Grund machte man Gundolf Köhler zum Alleintäter und ließ Beweismittel verschwinden. Ist der Mörder Kay Diesner vergessen, der 1997 einen linken Buchhändler an- und einen Polizisten erschoss?

Das Bundeskriminalamt geht derzeit dem Verdacht nach, dass Rechtsextremisten aus dem Umfeld des »Thüringer Heimatschutzes« bis in die jüngste Vergangenheit Kontakt zu den Untergetauchten hielten. In der Thüringer Landesregierung wird mittlerweile von einem größeren »rechtsextremen Netzwerk« gesprochen, das die drei »bis zur letzten Minute unterstützt« habe. »Wir beobachten die rechtsextremistische Szene intensiv«, hatte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nach den Terroranschlägen in Norwegen behauptet und vor allem vor Extremisten gewarnt, die sich im Verborgenen radikalisieren. Ahnten die Behörden, was da im nationalsozialistischen Untergrund bereits Blasen schlug? Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags will sich schon bald mit den Hinweisen auf eine rechte Terrorzelle in Deutschland befassen. Das Gremium ist ein Geheimbund ...

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -