Moldauische Merkwürdigkeiten
Republik zwischen Pruth und Dnjestr ist seit mehr als zwei Jahren ohne gewählten Präsidenten
Andernorts gehen Tausende auf die Straße, um ihren Staatschef zu stürzen. Die 3,5 Millionen Einwohner des Landes zwischen Pruth und Dnjestr sind dagegen bereits seit mehr als zwei Jahren ohne gewähltes Staatsoberhaupt. Schon zweimal wurde deshalb das Parlament vorzeitig neu gewählt. Nicht ausgeschlossen, dass ein drittes Mal bevorsteht. Denn ein für Freitag angesetzter Wahltermin ist am Montag geplatzt.
Der Staatspräsident Moldovas bedarf der Stimmen von 61 der 101 Parlamentsabgeordneten. Bei den Parlamentswahlen im April 2009 hatte die regierende Partei der Kommunisten der Republik Moldova (PKRM) unter dem damaligen Präsidenten Wladimir Woronin zwar mit 60 Sitzen wieder die absolute Mehrheit errungen, doch für die Wahl zur Präsidentin fehlte der PKRM-Kandidatin, der seinerzeitigen Regierungschefin Zinaida Greceanii. eine Stimme. Woronin selbst durfte nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren.
Nach Neuwahlen im Juli 2009 übernahm eine Koalition unter dem Namen Allianz für Europäische Integration (AEI) die Regierung, aber sie stützte sich nur auf 53 Parlamentsabgeordnete. Und die 48 PKRM-Abgeordneten verweigerten dem AEI-Präsidentschaftskandidaten Marian Lupu ihre Stimmen. Denn Lupu war für sie ein Verräter, hatte er die Partei der Kommunisten doch erst kurz zuvor verlassen. In Chisinau flüsterte man, er sei vor allem deshalb aus der PKRM ausgetreten, weil die Parteiführung nicht ihn, sondern Greceanii im Präsidentenamt hatte sehen wollen.
Nachdem im September 2010 ein Referendum über die Änderung des Wahlmodus gescheitert war (der Präsident wäre demnach direkt vom Volk bestimmt worden), sollten neuerliche Parlamentswahlen im November desselben Jahres aus der Sackgasse führen. Drei Parteien der AEI - Liberaldemokraten (LDP), Demokraten (DP) und Liberale (LP) - brachten es diesmal zusammen auf 59 Sitze. Wieder fehlten zwei Stimmen für die Wahl Lupus, der laut Koalitionsvertrag den Präsidentenposten übernehmen soll. Die Kommunisten schlugen zwar vor, gemeinsam einen »unpolitischen« Präsidenten zu wählen, doch das lehnte die Allianz ab: Das Amt sei zu wichtig, als dass man es einem »Außenseiter« überlassen könnte, hieß es. Wahr ist, dass einzig das ausgehandelte Schema der Postenverteilung die AEI zusammenkittet, denn die Parteiführer - Regierungschef Vlad Filat (LDP), Marian Lupu (DP) und Mihai Ghimpu (LP) - sind im Übrigen heftig zerstritten. So wurde mangels Erfolgsaussichten ein ganzes Jahr lang nicht einmal ein Termin für die Präsidentenwahl angesetzt. Wäre die PKRM zu ihrer Regierungszeit ähnlich verfahren - Moldova wäre von Brüssel längst als undemokratisch gebrandmarkt worden. Solange in Chisinau eine antikommunistische Allianz für Europäische Integration regiert, sieht man dort jedoch über Defizite hinweg und bescheinigt dem Land Fortschritte bei der Annäherung an die EU.
Anfang November schien sich endlich ein Ausweg zu bieten: Drei PKRM-Abgeordnete verließen ihre Fraktion, um »die Wahl eines Präsidenten zu ermöglichen«. Zu den Abtrünnigen um den früheren Vizepremier Igor Dodon gehört Zinaida Greceanii, die von der PKRM noch gerade erst erneut als parteilose Präsidentschaftsbewerberin präsentiert worden war, denn tatsächlich war sie - obwohl Nr. 2 auf der Wahlliste - nicht Mitglied der Partei. Das Trio wurde umgehend in Brüssel empfangen, die Wahl des Staatsoberhaupts am 18. November schien gerettet. Nur bestanden die drei Abweichler darauf, dass dies Frau Greceanii sein sollte, was Marian Lupu ebenso wie Mihai Ghimpu entschieden ablehnte. Ministerpräsident Filat, der den Coup eingefädelt haben soll, musste am Dienstag verkünden, dass die Wahl erneut auf unbestimmte Zeit verschoben wird.
Das Arbeitsministerium Moldovas teilte derweil mit, dass jeder dritte arbeitsfähige Bürger der Republik das Land auf der Suche nach Arbeit verlassen habe. 90 Prozent der Rentner leben unterhalb des Existenzminimums. Wozu braucht es da eigentlich noch einen Präsidenten?
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.