"Mic Check" von Obama
Occupy Wall Street versuchte zum ersten Mal, den US-Präsidenten zur Rede zu stellen
Zum ersten Mal überhaupt wurde am Dienstagmorgen Präsident Barack Obama von „Occupy Wall Street"-Aktivisten während einer Rede unterbrochen. Eine Gruppe von High-School-Schülern im Bundesstaat New Hampshire machte den inzwischen berühmten „Mic Check". Jemand ruft „Mic Check" (was in etwa Mikrophontest bedeutet) in die Menge, und eine Anzahl von Menschen ruft „Mic Check" zurück. Das Spiel zwischen Sprecher und Wiederholern geht so lange, bis alle Versammelten das gesprochene Wort akustisch verstehen. Dieser menschliche Lautsprecher forderte Obama auf, sich zu den mehr als 4000 Festnahmen zu äußern, die in den vergangenen zwei Monaten seit Bestehen von „Occupy Wall Street" (OWS) erfolgt sind. Doch die furchtlosen High-School-Schüler wurden innerhalb weniger Sekunden von Sprechchören der anwesenden Obama-Fans übertönt. Sie riefen „Obama. Obama". Die „Occupy Wall Street"-Rufer versuchten, dagegen anzurennen – aber vergeblich. Der gewiefte Präsident gab danach den Mittler. Er verstehe die „Frustration" Vieler, sagte er, aber nicht mehr.
Nach seiner Rede gelang es einem Demonstranten, Obama einen Zettel mit ein paar Sätzen zu überreichen. Darauf stand unter anderem, friedliche Demonstranten seien verhaftet worden, während "Bankster" die Wirtschaft straffrei „zerstören". Obama solle sich doch bitte zu den Festnahmen äußern. Sein Schweigen sende bisher das Signal aus, dass „Polizeibrutalität akzeptabel ist".
Fortsetzung (Teil 2) des Interviews mit dem Professor für Wirtschaft Richard Wolff über die US-Linke und „Occupy Wall Street".
Wie können Sie so sicher sein, dass „Occupy Wall Street" weiter wachsen wird?
Ich bin in den USA aufgewachsen und war in den letzten viereinhalb Jahrzehnten in zahlreichen linken Projekten und Bewegungen aktiv. Aber so etwas wie OWS habe ich noch nicht erlebt. Noch nie entwickelte sich eine Bewegung so schnell und so breit. OWS gibt es in fast 200 US-Städten, und das innerhalb von zwei Monaten. Eine gute Häfte der amerikanischen Bevölkerung sympathisiert mit der Bewegung. Die Massenmedien machten sich zuerst allesamt über OWS lustig. Jetzt haben wir eine Spaltung. Die konservativen Medien hetzen, und die liberaleren räumen der Bewegung in ihrer Berichterstattung enorm viel Platz ein. Schließlich spricht die Tatsache, dass hauptsächlich junge Leute die wichtigsten Aktivisten sind, für ein Weiterwachsen. OWS ist bei den Kids, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein wichtiges Thema. Sehen Sie nur, wie furchtlos sie diesem militarisierten Polizeiapparat gegenüberstehen. Und wenn sie geräumt werden, kommen sie am nächsten Tag wieder. Die wichtigsten Organisatoren sind um die 30 Jahre alt.
Was halten Sie als Linker von dem Slogan „Wir sind die 99 Prozent"? Vermissen Sie darin nicht den Klassenbegriff?
Das Schöne an OWS ist, dass jeder mitmachen kann, der sich bisher nur für ein Sonderthema interessiert hat. Wenn Du Dich für Ökologie interessierst – komm zu uns. Wenn Du Dich gegen Rassismus engagieren willst, komm. Wenn Dich die Wahlkampffinanzierung nervt – komm vorbei, und so weiter. Dabei war es von Anfang an okay zu sagen „wir sind die 99 Prozent ohne Reichtum" und „wir sind gegen gegen das eine Prozent, das reich ist und alles kontrolliert." Außerdem konnte man von Anfang an die Meinung vertreten, dass das gesamte System verkehrt ist und, dass Kapitalismus das Problem darstellt. So weit konnte man in den letzten 50 Jahren als Linker in den USA bisher nicht gehen, auch Ende der 60er Jahre nicht. Der Klassenbegriff spielt tatsächlich eine wichtige Rolle in der OWS-Bewegung. Das ist völlig neu. Der Antikommunismus in den USA nach dem 2. Weltkrieg machte jeder linken Bewegung, die Fuß zu fassen versprach, sofort wieder den Garaus. Diese schlimmen Zeiten sind endlich vorbei.
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