Unternehmenssteuer-Paradies Deutschland

Die Bundesrepublik bezieht nur fünf Prozent ihrer Steuereinkünfte von Firmen - während die soziale Schieflage weiter zunimmt

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Während Europa die deutsche Wirtschaftspolitik inklusive »Schuldenbremse« übernehmen soll, eskalieren im Mutterland dieser Weisheit die Verteilungsprobleme. Der DGB fordert ein Umsteuern, kräftige Lohnerhöhungen und zahlreiche Reformen - wirkt dabei aber seltsam hilflos.

Es sind schon einige scheinbare Gewissheiten über »die Wirtschaft« ins Rutschen gekommen, seit die Krise des Finanzmarktkapitalismus die Staatenlenker vor sich hertreibt. Und Claus Matecki vom DGB-Bundesvorstand möchte ein »Märchen« mehr enttarnen - das vom Hochsteuerland Bundesrepublik. »Deutschland generiert aus der Unternehmensbesteuerung im OECD-Vergleich den geringsten Teil seines Steueraufkommens«, sagte der DGB-Vorstand am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung des »Verteilungsberichts 2011« - nämlich nur 5,1 Prozent. Entgegen dem europäischen Trend ist dieser Anteil in Deutschland rückläufig.

Ebenfalls »unrühmliches Schlusslicht« unter den Industriestaaten ist die Bundesrepublik demnach bei der Einkommensentwicklung. Die durchschnittlichen Reallöhne in Deutschland sind laut DGB zwischen 2000 und 2009 um 4,5 Prozent gesunken - nach einer jüngeren Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung besonders stark bei den Beziehern der geringsten Einkommen, die im vergangenen Jahrzehnt Einbrüche von bis zu 20 Prozent hinnehmen mussten. Im gleichen Zeitraum, so nun der DGB, konnten die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung ihren Anteil am Nettovermögen deutlich steigern - von 58 auf 61 Prozent. Das reichste Prozent der Deutschen verfügt immerhin über einen Vermögensanteil von über 23 Prozent, während die »unteren« 70 Prozent gerade mal 9 Prozent der Vermögenswerte halten. Inzwischen 27 Prozent der Bevölkerung verfügen über kein Vermögen oder sind verschuldet.

Spekulieren statt Wirtschaften

Noch drastischer bildet sich die fortgesetzte Umverteilung nach oben in der Verteilung des Volkseinkommens nach Einkommensarten ab: Während die Profitquote, die den Anteil des Einkommens aus Unternehmens- und Vermögensgewinnen angibt, zwischen 2000 und heute von 27,9 auf 33,5 Prozent angestiegen ist, sinkt die Lohnquote weiter. Derzeit verteilt sich das Einkommen der Bundesbürger nur noch zu 66,5 Prozent an die Bezieher von Löhnen und Gehältern. Dabei ist der zu verteilende »Kuchen« im vergangenen Jahrzehnt deutlich größer geworden: Allein zwischen 2002 und 2007 schnellte das Vermögen der Deutschen von 6,5 Billionen Euro auf 8 Billionen.

Die bedenkliche Umgruppierung der Einkünfte zeigt sich nicht nur unter den Einkommensbeziehern, sondern prägt auch die Praxis der Unternehmen: 2010 stiegen die Unternehmensgewinne um satte 16,7 Prozent - wobei die Einkünfte, die nicht aus herkömmlicher, »realwirtschaftlicher« unternehmerischer Betätigung stammen, sondern aus den Vermögenspositionen der Unternehmen, einen schnell wachsenden Anteil ausmachen.

»Unternehmen platzieren ihre Betriebsüberschüsse lieber an den internationalen Finanz- und Kapitalmärkten, als sie in neue Produktionsanlagen oder in Forschung und Entwicklung zu stecken«, sagt Matecki. Als »treibende Kraft« hinter diesem Vorgang hat der DGB »Kapitalgesellschaften jenseits der Banken« ausgemacht. Diese generieren laut dem DGB-Bericht inzwischen 24 Prozent ihrer Einkünfte aus Vermögenseinkommen.

Höhere Löhne, keine Schuldenbremse

Als Gegenmittel ruft der DGB nach einschneidenden Richtungsänderungen in Wirtschaft und Politik. Zunächst müssten kräftige Lohnerhöhungen her, die wieder »mindestens« den kostenneutralen Verteilungsspielraum abdecken, also mindestens die Inflationsverluste der Beschäftigen ausgleichen und Produktivitätsgewinne weiterreichen sollten - wie es in der alten Bundesrepublik lange üblich war. Zudem erneuerte Matecki die Forderung nach einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro, ergänzend zu höheren Branchenmindestlöhnen. Neben den Verbesserungen für Beschäftigte habe auch der Staat etwas von einer absoluten Lohnuntergrenze in dieser Höhe, »mehrere Milliarden Euro« würden in die Kassen gespült.

Grundsätzlich »halten wir den Ansatz für falsch, dass man sich aus einer Krise heraussparen kann«, sagt Matecki, »in Deutschland nicht und auch nicht anderswo.« Deshalb ist der DGB-Mann besorgt darüber, dass nun Europa eine Finanzpolitik nach deutschem Vorbild aufgezwungen werden soll. Die »unsinnige Schuldenbremse«, die soziale Spaltungen verschärfe und mit »Generationengerechtigkeit« nichts zu tun habe, müsse wieder abgeschafft werden. Es dürfe nicht dabei bleiben, so Matecki mit Blick auf die Euro-Krise, dass »mit jeder neuen ›Hilfe‹ die Kluft zwischen Arm und Reich größer« werde.

Klare Worte also am Berliner Henriette-Herz-Platz. Dass der DGB sich dennoch nicht gegen die jüngsten »Rettungsschirme« ausgesprochen hat, begründet Matecki mit der Alternativlosigkeit in der konkreten Situation.

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