Österreich debattiert »Schuldenbremse«
Triple-A oder Sozial- und Wirtschaftspolitik?
Noch ist den Medienkonsumenten das Bild zweier Ritter von der traurigen Gestalt in Erinnerung: Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und sein Vize, Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP), hatten vor Kameras gemeinsam die Notwendigkeit beschworen, radikales Sparen in Verfassungsrang zu heben. Mehrmals betonten beide, wie unabhängig ihre Entscheidung vom bevorstehenden Monitoring Österreichs durch die sogenannte Rating-Agentur Moody‘s sei. Doch getrieben von eben diesen Agenturen soll als Richtschnur für eine Neuverschuldung maximal ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts festgeschrieben werden. Dazu würden die Maastricht-Kriterien Verfassungsrang erhalten. Sogleich gab es Lob aus Brüssel.
Die Vertreter von Arbeitern und Angestellten wollen aber bei der »Schuldenbremse« nicht mitmachen. Alle vier Fraktionen in der Arbeiterkammer - Sozialdemokraten (FSG), Christlich-Soziale (ÖAAB), Freiheitliche (FA) und Grüne (AUGE) - stimmten auf ihrer Hauptversammlung gegen den Regierungsplan. »Die sogenannte Schuldenbremse suggeriert indirekt, die Staatsverschuldung wäre ein Problem unverantwortlicher Budgetpolitik. Das ist aber nicht der Fall«, heißt es in der Resolution. »Arbeiterkammer und ÖGB stehen daher einer ›Schuldenbremse‹ ablehnend bis skeptisch gegenüber, da diese unter Umständen als Vorwand für Kürzungen am Sozialsystem verwendet wird.«
ÖVP und SPÖ stehen seither vor parteiinternen Zerreißproben. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), im Nebenjob auch Chefin des christlich-sozialen Arbeiter- und Angestelltenbundes (ÖAAB), dessen Vertreter sich gegen die »Schuldenbremse« ausgesprochen haben, erweiterte in Reaktion darauf flugs ihr Vokabular. Sie spricht nun davon, dass an eine »Vollbremsung« nicht gedacht sein kann, weil sie »zu einer Massenkarambolage« führen könne. Die SPÖ wiederum wankt zwischen den Vorgaben aus Brüssel und von den Rating-Agenturen auf der einen und ihrer schwindenden sozialen Basis auf der anderen Seite. Als Ausgleich zur »Schuldenbremse«, die vom Kanzler als alternativlos gesehen wird, will man Vermögensteuern einführen, die eine SPÖ-geführte Vorgängerregierung 1994 abgeschafft hatte. Dem widersetzt sich wiederum vehement die ÖVP. Als Kompromiss böte sich eventuell ein semantischer Trick an, den ÖAAB-Obfrau Mikl-Leitner »Solidarbeitrag« nennt. Der wäre über einen beschränkten Zeitraum von Reichen zu fordern, die jährlich über 500 000 Euro verdienen.
Was der Regierung zur Umsetzung der »Schuldenbremse« derzeit auch noch fehlt, ist die Verfassungsmehrheit von zwei Drittel der Abgeordneten. Während die rechte FPÖ schon abgewinkt hat und die Grünen nicht genau wissen, wie hoch die Kompensation - auch hier wird die Wiedereinführung der Vermögensteuer ins Feld geführt - für ihre Zustimmung sein soll, signalisiert das von Jörg Haider einst gegründete liberal-nationale Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) seine Bereitschaft, mit der Koalition die Verfassungsmehrheit herzustellen. Zuerst müsste allerdings der Widerstand in den Reihen von SPÖ und ÖVP gebrochen werden.
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