Begleitender Protest
Bei Stuttgart 21 rücken nun die Kosten in den Mittelpunkt
Stuttgart 21 kann weitergebaut werden. Nach der verlorenen Volksabstimmung am Sonntag sucht der Widerstand nun nach einer neuen Strategie. Die Sprecherin des Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, Brigitte Dahlbender, kündigte an, der Protest werde sich ändern. »Aber wir werden das Projekt weiter kritisch begleiten.« Als Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 trat sie gestern zurück.
Knapp 60 Prozent der Wähler in Baden-Württemberg haben für den Weiterbau von Stuttgart 21 gestimmt, 41,2 Prozent dagegen. Ein derart klares Ergebnis hatten die Gegner nicht erwartet. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte, man habe bei einer Wahlbeteiligung von 47 Prozent einen »guten Tag für die direkte Demokratie erlebt«, und kündigte an, einen neuen Anlauf im Landtag zu starten, um das mit 33 Prozent extrem hohe Quorum für Volksabstimmungen in der Landesverfassung abzusenken. Dafür ist eine Zweidrittel-Mehrheit notwendig. Die CDU müsste also mitmachen. Bislang hat sie eine Absenkung des Quorums stets abgelehnt.
Abgesehen von der demokratietheoretischen Frage konnte Kretschmann sich über das Ergebnis am Sonntag nicht freuen. Immerhin sei die die Lage nun klar und die Landesregierung werde gemeinsam mit den anderen Projektpartnern den Tiefbahnhof bauen, sagte er. Allerdings nur, wenn die Kosten eingehalten würden. Offiziell liegen sie derzeit bei 4,1 Milliarden Euro, maximal dürfen sie 4,5 Milliarden betragen. Der Landesanteil beläuft sich auf gut 900 Millionen Euro - so steht es im Finanzierungsvertrag. Kretsch-mann und sein Vize Nils Schmid (SPD) - ein Befürworter von S21 - betonten am Wahlabend beide: »Das Land wird sich nicht an Mehrkosten beteiligen.« Sollte das Projekt teurer als 4,5 Milliarden Euro werden, »erwarten wir, dass die Bahn das zahlt und dies auch bald erklärt«, unterstrich Kretschmann.
Bereits am Sonntagabend wurde deutlich, dass die Grünen nun auf die Kostenkontrolle setzen werden. Dass Stuttgart 21 teurer wird, als bislang veröffentlicht, ist unter der Hand auch auf Befürworterseite klar. »Natürlich steigen die Kosten. Das ist bei solchen Großprojekten so«, erklärte ein CDU-Kommunalpolitiker im Landtag. »Aber das konnte man vor der Volksabstimmung nicht laut sagen.« Auch danach nicht. CDU- und FDP-Vertreter freuten sich am Sonntagabend über das eindeutige Ergebnis. »Die Baden-Württemberger sind für Fortschritt, für Mobilität und technische Innovation«, sagte Peter Hauk, Fraktionsvorsitzender der CDU. Von den Grünen forderte er, mäßigend auf die S21-Gegner einzuwirken. Sein FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke meinte: »Wer jetzt noch demonstriert, ist ein Undemokrat.« Das Demonstrationsrecht gelte weiter, erklärte Ministerpräsident Kretschmann daraufhin mehrmals. Es werde ebenso geschützt wie das Baurecht der Bahn.
Das dürfte die S21-Gegner wenig beruhigen. Sie hatten sich am Sonntagabend vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof versammelt, um die Ergebnisse der Abstimmung zu verfolgen. Je mehr Zwischenstände aus den Städten einliefen, desto schlechter wurde die Stimmung. Jubel brandete nur bei den badischen Städten Freiburg, Tübingen, Mannheim und Heidelberg auf. Dort hatten jeweils mehr als 50 Prozent gegen S21 gestimmt. Ansonsten waren die Gesichter lang, selbst wenn Protagonisten des Widerstands über Mikrofon mehrfach erklärten, der Kampf gehe weiter. »Murks bleibt schließlich Murks«, so Theatermacher Peter Grohmann.
Ein Teil der Aktivisten allerdings ließ sich nicht lange entmutigen. Bereits gestern Morgen blockierten etwa 100 S21-Gegner eine Baustelle am Hauptbahnhof. Wie man den Protest künftig sinnvoll strukturieren will, beriet das Aktionsbündnis gestern Nachmittag. Um die Basis mit einzubeziehen, sind alle Widerständler am kommenden Sonntag zum »Großen Ratschlag« ins Stuttgarter Rathaus eingeladen. Das Ergebnis des Ratschlags wird dann auf der vorerst letzten Montagsdemo nächste Woche verkündet. Weil sie nach der verlorenen Volksabstimmung nicht mehr politische Speerspitze der Anti-S21-Bewegung sein will, legte Bündnissprecherin Brigitte Dahlbender gestern ihr Amt nieder. Sie wolle sich wieder auf ihre Arbeit als Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz konzentrieren, erklärte sie.
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