Brauner Sumpf? Mitnichten!

In Jena setzten 50.000 Menschen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus

  • Jenny Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Udo Lindenberg, Peter Maffay und Clueso gehören zu den Musikern, die bei der „Rock'n Roll Arena in Jena“ spielten. Die Stadt, aus der das Nazi-Trio stammt, zeigte mit dem größten Konzert ihrer Geschichte Gesicht gegen rechte Gewalt.
Über der Stadt schwebt ein riesiges Ausrufezeichen. Im Zentrum von Jena leuchtet es gelb in der Dunkelheit. Ein Zeichen, das zu dem Abend passt. Es sind die erhellten Fenster des Intershop-Towers, einem runden Hochhaus und Wahrzeichen der Stadt, die das Symbol in den Himmel malen. Es soll nicht zu übersehen sein, dass an diesem Freitagabend etwas wichtiges gezeigt wird. Zu überhören ist es auch nicht. Aus dem Stadtpark wummern dumpfe Bässe, dazwischen ruft Udo Lindenberg: „Für eine bunte Republik Deutschland!“

Es ist das Motto der Aktion „Rock'n Roll Arena in Jena“. 50.000 Menschen sind gekommen, um sich gegen rechte Gewalt auszusprechen. Und um den kostenlosen Konzerten zu lauschen, von Alt-Rockern wie Udo Lindenberg, Peter Maffay, Silly, aber auch dem erfolgreichen Jungmusiker Clueso. In der 100.000-Einwohner-Stadt hat es einen solchen Auflauf noch nicht gegeben. Entsprechend euphorisch sind die Redner auf der Bühne. Mit Blick auf die dicht gedrängte Menschenmenge sprechen sie von einer „Freitagsdemo“, einer „Volksbewegung“, Clueso nennt es schließlich die „größte Demo gegen Rechts, die es je gegeben hat“. Ganz unrecht hat er nicht, doch ist es keine reine Demonstration. Plakate, Schilder oder Aufkleber hat fast niemand dabei. Auf den ersten Blick könnte man meinen, hier finde ein völlig unpolitisches Festival statt. Aber kaum einer ist nur wegen der Musik gekommen. Egal wen man fragt, alle sind hier „um ein Zeichen zu setzen“. Gegen Rechtsextremismus. Für das Image der Universitätsstadt.

Jena ist in den letzten Wochen in Verruf geraten. Erst stellte sich heraus, dass das rechte Terror-Trio aus der Stadt stammt, dann brandmarkte die ZDF-Sendung „Aspekte“ den Ort als „Teil der ostdeutschen Angstzone“. Diese pauschale Verurteilung sorgte für so viel Empörung, dass sich der Aspekte-Chef am Montag in einer Podiumsdiskussion der Frage stellt: „Wie braun ist Jena wirklich?“

Für die Konzertbesucher steht die Antwort schon fest. „Wir sind eine aufgeschlossene Stadt mit vielen ausländischen Studenten, die keine Angst zu haben brauchen“, sagt eine Studentin. Sie steht um 16 Uhr, als das vierstündige Ereignis beginnt, vorne auf der großen Wiese – die Universität hat mit Blick auf den Aktionstag frei gegeben. Ebenso wie einige Schulen. Und das Theaterhaus hat seine Vorstellung abgesagt. Wenn das kein kollektives Zeichen ist.

Viele junge Menschen sind gekommen, auch Senioren, Rollstuhlfahrer, Familien mit Kindern. Aus der ganzen Region sind sie angereist, teilweise mit kostenlosen Sonderbussen. Der Ort des Konzerts ist bewusst gewählt. Vor vier Jahren kamen hier Tausende zusammen, um mit Sitzblockaden das rechtsextreme „Fest der Völker“ zu verhindern – das seitdem nicht mehr in Jena stattfindet. „Es gibt hier eine rechte Szene“, sagen ein paar Punks. Doch auch der Widerstand sei groß. „Eine Problemstadt ist Jena nicht. Eine Keimzelle schon gar nicht.“ Von der Bühne aus weist der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel darauf hin, dass Rechtsextremismus kein ostdeutsches Problem sei. „Das haben wir in ganz Deutschland!“

Nach einer Schweigeminute für die Opfer wird das Musikprogramm nur von kurzen Reden unterbrochen. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) ist da, Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD), Jürgen Trittin (Grüne), Bodo Ramelow (LINKE). Auch Initiativen gegen Rechts kommen zu Wort. Sie fordern mehr staatliche Unterstützung und ein Ende der Diffamierung als linksextreme Vereinigungen.

Die Idee zu der Aktion hatte Sigmar Gabriel eine Woche zuvor. Gemeinsam mit Udo Lindenberg organisierte er schon in den 80er Jahren Konzerte für „Rock gegen Rechts“, in deren Tradition das Fest steht. Dass es die Stadt geschafft hat, innerhalb weniger Tage ein solches Großereignis zu konzipieren, ist erstaunlich. Die Kosten von 300.000 Euro waren schon vor Konzertbeginn durch Spenden eingeholt, beteiligt hatten sich das Land und viele Jenaer Unternehmen, Institute und Bürger. Überschüssiges Geld geht an Initiativen gegen Rechtsextremismus.

Die sind am Rand des Konzerts nur in der zweiten Reihe zu finden, hinter den Fressbuden. Zufrieden sind sie dennoch. Viele Menschen haben sich heute für ihre Arbeit interessiert. Ob das Konzert einen Impuls gibt, sich gegen rechte Gewalt einzusetzen, bezweifeln sie. Von der Bühne rufen Politiker, Musiker und Initiativen dazu auf, im Februar nach Dresden zu fahren und den jährlichen Nazi-Aufmarsch zu verhindern. Dann wird sich zeigen, ob das schöne Ausrufezeichen mehr war als ein Symbol.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.