Bomben gegen die »Ungläubigen«
Nigeria: Anschläge der Terrorzelle Boko Haram töteten mindestens 40 Christen
Dennoch könnte die Rechnung der Boko-Haram-Gruppe aufgehen: Ihr Ziel ist es vermutlich, neue Unruhen zwischen christlichen und muslimischen Jugendlichen zu provozieren. Gelingt ihr das, würde das den Vielvölkerstaat Nigeria in seinen Grundfesten erschüttern. Die jahrelang kaum beachtete Sektierergruppe, die der Prediger Mohammed Yusuf 2002 im äußersten Nordosten Nigerias gründete, ist inzwischen die mit Abstand größte Gefahr für den Frieden in Afrikas bevölkerungsreichstem Land. Das Ziel von Boko Haram ist die Errichtung eines Gottesstaates.
Dass die Terrorgruppe »eines Tages verschwinden wird«, wie Nigerias Präsident Goodluck Jonathan nach den Anschlägen erklärte, ist unwahrscheinlich - denn derzeit fehlen Polizei und Geheimdiensten offenbar jegliche Zugänge zur Terrorgruppe. Wie weit Boko Haram ungehindert gehen kann, zeigte der Anschlag auf das UN-Hauptgebäude in Nigerias Hauptstadt Abuja am 26. August. Ein mit Sprengstoff beladenes Auto raste ins Erdgeschoss des Gebäudes und detonierte: Nigerias erster Selbstmordanschlag.
»Das ist unser 9/11«, sagten Passanten damals kurz nach dem Attentat schockiert in die Mikrofone von Reportern. 23 Menschen starben, mehr als 80 wurden verletzt. Seit August explodieren in Abständen Sprengsätze im ganzen Land, vor allem im mehrheitlich muslimischen Norden, wo Boko Haram seine Rückzugsräume hat. Der Vergleich zum 11. September ist durchaus nicht weit hergeholt: Denn Boko Haram und das Terrornetzwerk Al Qaida sind eng verbandelt.
Nigerianische Geheimdienstakten, die das »Wall Street Journal« veröffentlichte, belegen, dass Funktionäre von Boko Haram in Terrorcamps der Al Qaida in Afghanistan ausgebildet wurden - und zwar bereits 2007. Sogar schon im Gründungsjahr 2002 sollen Boko-Haram-Kämpfer in Mauretanien und später in Algerien geschult worden sein. Algerische Salafisten, die sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zur »Al Qaida im Islamischen Maghreb« umbenannten, hätten den Nigerianern Kampftaktiken und den Bau von Sprengsätzen beigebracht.
Nigerias Regierung will solche Berichte nicht kommentieren. Sie verharmlost die Terroristen meist als rein lokale Rebellengruppe und propagiert selbst den Namen Boko Haram, was in der Haussa-Sprache »Alles Westliche (oder: Westliche Bildung) ist Sünde« bedeutet. Die Bewegung selbst nennt sich indes »Sunnitische Bruderschaft in Ausführung des Heiligen Krieges« - ein deutlicher Hinweis auf die wahren Ziele der Dschihadisten, denen sich immer mehr arbeitslose und benachteiligte Jugendliche im muslimischen Norden Nigerias anschließen.
Dabei glaubten sich nigerianische Sicherheitskräfte 2009 am Ziel, als bei einer Großoffensive Boko-Haram-Gründer Mohammed Yusuf verhaftet und kurze Zeit später getötet wurde. Doch seitdem haben Zahl und Ausmaß der Terroranschläge zugenommen. Dass niemand zu wissen scheint, wer genau Boko Haram seit Yusufs Tod führt, zeigt einmal mehr, wie hilflos Nigerias Sicherheitsapparat gegen die neue Bedrohung ist. In dem westafrikanischen Staat glaubt jedenfalls kaum jemand, dass die Boko-Haram-Anschläge vom ersten Weihnachtsfeiertag die letzten gewesen sind.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.