Die Wohltaten der Frischluft
Die politische Farbkonstellation könnte anders aussehen - hätte die Opposition anders Politik gemacht
Natürlich passiert die Masse der Gesetzesbeschlüsse des Bundestages den Bundesrat ohne ernsthafte Blessuren. Aber immer mehr Vorhaben der Regierung landen im Vermittlungsausschuss und bleiben dort auch liegen. Die geplante Steuerreform will SPD-Parteichef Gabriel im Bundesrat scheitern lassen.
Das könnte klappen, denn auch wenn die SPD und Grüne dort keine Mehrheit haben, würde eine bloße Enthaltung der großen Koalitionen in den Ländern ausreichen, das letzte große innenpolitische Projekt der Bundesregierung zu verhindern. Und wegen ähnlicher Drohungen hat die Bundesregierung das umstrittenen Schwarzgeldabkommen mit der Schweiz lieber erst gar nicht in den Bundesrat weitergeleitet. Bei den bevorstehenden Landtagswahlen im Mai 2012 in Schleswig-Holstein und im Januar 2013 in Niedersachsen steuern SPD und Grüne demoskopisch auf den Wahlsieg zu. Die schwarzgelbe Machtoption scheitert dort schon mangels Masse.
Das politische Ende der Kanzlerin Angela Merkel und der Wahlsieg von Rot-Grün erscheinen somit unausweichlich. Doch paradoxerweise waren es gerade SPD und Grüne, die der früh schwächelnden Regierung unverdienten Halt gegeben haben. So sind die diversen Eurorettungspakete bislang immer mit ihren Stimmen abgesegnet worden. Ihre Opposition beschränkt sich hier auf rabulistische Rhetorik und Verfahrenskritik. Während die französischen Sozialisten gerade darüber diskutieren, die Unabhängigkeit der EZB zugunsten von mehr demokratischer Kontrolle einzuschränken, verhält sich Rot-Grün als Appendix der Achse Merkel-Sarkozy.
Die Kräfteverhältnisse in der Länderkammer mögen Sigmar Gabriel heute zu kraftstrotzenden Posen stimulieren. Doch es war vor allem die SPD, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Landesregierungen, die aus Parteien links der Union hätten gebildet werden können, im Bundesrat verhindert hat. Damit wäre die Regierung Merkel faktisch am Ende. Denn alle Einsprüche des Bundesrates müsste die Koalition ebenfalls mit zwei Dritteln, also einer Mehrheit, die sie nicht aufbieten könnte, überstimmen. Jede Gelegenheit, zu einer solchen Mehrheit zu kommen, haben SPD und Grüne mit der Zuverlässigkeit eines Schweizer Uhrwerks vergeigt. Es gäbe keinen CDU-Ministerpräsidenten in Hessen, keine Jamaika-Koalition im Saarland, keine großen Koalitionen in vier ostdeutschen Bundesländern, wenn SPD und Grüne ihre ideologischen Vorbehalte gegen die LINKE beiseite gelassen hätten. Aber für Angela Merkel war diese Subalternität ihrer sozialdemokratischen und grünen Gegner eine der wenigen Konstanten, auf die sich immer verlassen konnte.
SPD und Grüne halten sich dagegen für clever, weil sie sich vorteilhaft im Niedergang der Merkel-Koalition eingerichtet haben. Sie wirken wie jemand, der gerne im Mief posiert, um eindrucksvoll über die Wohltaten der Frischluft zu räsonieren, anstatt die verrammelten Fenster aufzustoßen. Sie leben von den Pannen, Pleiten und Skandalen von Schwarz-Gelb. Da das Festhalten am rot-grünen »Markenkern« - Hartz IV, die Rente mit 67, Militäreinsätze - das linke Wählerlager spaltet, wird aus der demoskopischen Mehrheit wie so oft nichts werden. Nur dass die nach wie vor unterschätzte Kanzlerin Angela Merkel künftig Koalitionsoptionen haben könnte: Rot-Schwarz und Schwarz-Grün.
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