Das Jahr nach Fukushima

Die Kehrtwende in der Energiepolitik wird nur halbherzig umgesetzt

  • Gerd Rosenkranz
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Jahr 2011 begann in Deutschland mit der Laufzeitverlängerung für 17 Atomkraftwerke. Es endet mit dem Anspruch, als erste große Industrienation der Welt die Komplettumstellung des Energiesystems von fossil-nuklear auf erneuerbar zu schaffen.
Gerd Rosenkranz ist Leiter Politik der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in Berlin.
Gerd Rosenkranz ist Leiter Politik der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in Berlin.

Dazwischen lag das historische Datum des 12. März 2011. Einen Tag nach dem verheerenden Erdbeben und dem nachfolgenden Tsunami explodierten am japanischen Reaktorstandort Fukushima drei von vier Atomreaktoren. Die Zwischenbilanz zum Jahresende: Drei Kernschmelzen binnen weniger Tage - ein Szenario, das selbst Atomkraftgegner nie auch nur in Erwägung gezogen hatten; die Umgebung weiträumig radioaktiv verseucht; Zehntausende Menschen, die Erdbeben und Tsunami verschont hatten, binnen Stunden ohne Haus und Heimat und ohne jede Sicherheit, je wieder zurückkehren zu können.

In Deutschland löste Fukushima eine der spektakulärsten politischen Kehrtwenden der Nachkriegspolitik aus. Angela Merkel kehrte mehr oder weniger zurück zum Ausstiegsfahrplan der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2000. Acht der 17 Reaktoren wurden endgültig abgeschaltet, die letzten verbliebenen sollen 2022 vom Netz gehen. Ausweislich des Abstimmungsverhaltens gibt es seit dem Sommer 2012 im Bundestag nur noch Ausstiegsparteien. Doch zum Jahresende wird unübersehbar, dass die Bundeskanzlerin ihre 180-Grad-Kehre gegen die Überzeugung weiter Teile ihrer eigenen Partei, der Bundestagsfraktionen von Union und FDP und auch von Regierungsmitgliedern durchgesetzt hat.

Während die Gesellschaft die »große Transformation« zunehmend selbst und selbstbewusst in die eigene Hand nimmt, während das (auch) infolge des Fukushima-Schocks grün-rot regierte Baden-Württemberg und sogar die CSU-FDP-Regierung in Bayern ihre Dauerblockade gegen die Windenergie aufgeben, steht die Berliner Regierungskoalition merkwürdig unbeteiligt im energiepolitischen Abseits. Manche Energiepolitiker der Regierung arbeiten offen gegen die Energiewende, für die sie im Sommer im Bundestag die Hand gehoben haben. Der FDP-Wirtschaftsminister plädiert für eine neue Generation Kohlekraftwerke, deren Realisierung nicht nur Gift wäre für den Klimaschutz, sondern auch für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien. In Brüssel blockiert Rösler Vorschläge der EU-Kommission für mehr Energieeffizienz, obwohl es um die Umsetzung exakt jener EU-Ziele geht, die Bundeskanzlerin Merkel im Jahr 2007 gegen den Widerstand anderer Mitgliedstaaten durchgeboxt hat.

Die Fraktionsoberen der drei Regierungsparteien fordern eine Novelle des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG), obwohl die im Sommer verabschiedete Novelle erst jetzt, zu Jahresbeginn 2012 in Kraft tritt. Ihre Vorschläge laufen auf die Deckelung des Solarstromausbaus auf ein Sechstel bzw. ein Siebtel der Jahre 2010 und 2011 hinaus. Die Industrie soll noch stärker als im vergangenen Jahr von der EEG-Umlage befreit werden, was die Kosten für die privaten Haushalte im Gegenzug erhöht. So wollen die Gegner der Energiewende beweisen, was sie gern behaupten: Der Umbau bleibt entweder auf halber Strecke stecken - oder er wird für »die Menschen im Lande« unbezahlbar. Ein perfides Kalkül.

In der realen Welt ist der Zubau der erneuerbaren Energiekapazitäten 2011 ungebrochen. Erstmals übertrafen Wind, Sonne und Co. bei der Stromerzeugung sowohl die Atomenergie als auch die Steinkohle. Die Erneuerbaren liefern jetzt 20 Prozent des deutschen Strombedarfs. Die Behauptung, Deutschland müsse wegen des Atomausstiegs große Mengen (Atom-)Strom importieren, erweist sich in diesen Tagen als Wunschdenken aus dem Lager der Energiewende-Gegner. Trotz des spektakulären Einbruchs der Atomstromproduktion um fast ein Viertel in diesem Jahr, wurden 2011 etwa sechs Milliarden Kilowattstunden (Terawattstunden, TWh) Strom mehr aus Deutschland exportiert als importiert.

Trotzdem türmen sich die Probleme. Die Realisierung der Energiewende ist vor allem eine vieldimensionale Optimierungsaufgabe, für deren Steuerung sich in der Bundesregierung niemand zuständig zu fühlen scheint: Der Zubau Erneuerbarer Energien muss synchronisiert werden mit dem unabdingbaren Um- und Ausbau unserer Stromnetze. Es müssen Anreize gesetzt werden, damit für den Übergang flexibel steuerbare Gaskraftwerke errichtet werden - und zwar dort, wo sie gebraucht werden. Eingeführte Stromspeichertechnologien (wie Pumpspeicherkraftwerke) müssen ausgebaut und neue zur Anwendungsreife entwickelt werden, um ein Energiesystem, das mehr und mehr getragen wird von den fluktuierenden Energien aus Wind und Sonne, so verlässlich betreiben zu können, wie wir es gewohnt sind. Schließlich muss die Stromnachfrage sowohl in Industrie und Gewerbe als auch in den privaten Haushalten wo immer möglich an das jeweilige Stromangebot angepasst werden. Dazu bedarf es intelligenter Netze und finanzieller Anreize, sie zu nutzen. Alle diese Handlungsstränge müssen ineinander greifen, so dass am Ende sowohl die Belastungen des Wohnumfeldes der Menschen und der Natur als auch die Gesamt-Umbaukosten auf ein Minimum begrenzt werden.

Der Abschied vom fossil-nuklearen Zeitalter kann nur gelingen, wenn die Energiewende sowohl ökologisch als auch ökonomisch zu einem Erfolgsprojekt wird. Andernfalls gibt es für andere Industriestaaten und die sich entwickelnden großen Schwellenländer kein überzeugendes Motiv, sich auf einen vergleichbaren Weg zu begeben. Einen nachhaltigen Beitrag zum globalen Klimaschutz kann Deutschland aber nur indirekt leisten, nämlich dann, wenn andere ebenfalls die Transformation ihres Energiesystems als Chance begreifen.

Dass jetzt ausgerechnet Koalitionspolitiker, die bisher als Bremser der Energiewende in Erscheinung getreten sind, entschlossen ein neues »Energieministerium« zur Lösung der Probleme ins Spiel bringen, dient erkennbar der Ablenkung von den inneren Widersprüchen in der Regierungskoalition. Das Ministerium wird vor der nächsten Bundestagswahl nicht kommen. Es würde schon genügen, wenn die Regierung 2012 umsetzt, was sie im Sommer 2011 beschlossen hat.

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