Libyen sortiert seine Partner
Übergangsregierung verhandelt mit ausländischen Ölkonzernen
Libyen will seine Ölförderverträge mit Italien einer Prüfung unterziehen. Das sagte Ende vergangener Woche der amtierende Ministerpräsident Abdel Rahim al-Kib nach einem Treffen mit dem Chef des italienischen Ölkonzerns ENI, Paolo Scaroni. Er erwarte, dass sich das Unternehmen nachhaltig »beim Wiederaufbau der von Gaddafis Truppen zerstörten Städte« engagiere. Man müsse sicherstellen, dass die Verträge den Interessen Libyens entsprechen. Das »neue Libyen« werde nichts akzeptieren, »was man ihm aufzwingt«. Ausländische Konzerne, die in Libyen Geschäfte machen wollten, müssten ihre Loyalität zum Volk Libyens nachweisen. Sie sollten »beweisen, dass sie Partner Libyens sind und nicht Partner Gaddafis und seines Regimes«. Der Regierungschef kritisierte die »negative Haltung der meisten Ölfirmen gegenüber der Revolution des libyschen Volkes gegen den Tyrannen«, sie hätten den Libyern nicht geholfen.
ENI dagegen erwartet, dass Libyen alle Verträge einhält, die einst mit der Regierung Gaddafis abgeschlossen wurden. Es handele sich um Langzeitverträge, die internationalen Schiedsgerichtsverfahren unterlägen. Kein Ölstaat, auch nicht Libyen, sei berechtigt, solche Verträge zu ändern, sagte Scaroni.
Der italienische Ministerpräsident Mario Monti wird Tripolis am 21. Januar besuchen, um den Freundschaftsvertrag mit Tripolis wiederzubeleben. Den hatte sein Vorgänger Silvio Berlusconi unter westlichem Druck, sich an der Militäroperation gegen Libyen zu beteiligen, im Sommer 2011 ausgesetzt.
Freundlicher begegnete al-Kib derweil dem Vorstandsvorsitzenden des Öl- und Gaskonzerns Wintershall, Rainer Seele, der ebenfalls kurz vor Weihnachten in Tripolis weilte. Libyen danke für die humanitäre Hilfe, die der Konzern geleistet habe, sagte al-Kib. Das Unternehmen, das schon lange in Libyen sei, zeige »in diesen historischen Zeiten als Partner eine sehr menschliche Seite«. Wintershall hat nach eigenen Angaben dem Internationalen Roten Halbmond und der Kinderhilfsorganisation »Save the Children« Spenden zukommen lassen. Außerdem helfe Wintershall, schwer verletzte Kriegsopfer in Deutschland medizinisch zu behandeln. Das Unternehmen beschäftigt nach eigenen Angaben knapp 400 Mitarbeiter in Libyen und hatte seine Ölproduktion im Oktober wieder aufgenommen.
Vor dem Krieg wurden in Libyen insgesamt täglich 1,6 Millionen Barrel Öl gefördert. Nach Angaben der libyschen Nationalen Ölgesellschaft vom 24. Dezember ist man inzwischen wieder bei einer Million Barrel am Tag angelangt.
Die Übergangsregierung in Tripolis hat unterdessen Probleme, Tausende Kämpfer und Angehörige von Milizen davon zu überzeugen, ihre Waffen abzugeben und sich in die neu zu bildende Armee und Polizei einzugliedern. Verteidigungs-, Innen- und Planungsminister hatten kürzlich einen Wiedereingliederungsplan vorgelegt. Doch der nach eigenen Angaben größte Zusammenschluss von Milizen, die »Union der Libyschen Revolutionäre« mit Sitz in Misrata, forderte 40 Prozent aller politischen Ämter in der Übergangsregierung. Ein Aufruf an die Milizen, bis zum 20. Dezember die Hauptstadt Tripolis zu verlassen, wurde von den meisten Kämpfern ignoriert. Unklar ist auch, ob sich die zerstrittenen paramilitärischen Gruppen auf die Wahl eines neuen Generalstabschefs einigen können, der zum 1. Januar 2012 ernannt werden sollte.
Der Chef der UN-Unterstützungsmission in Libyen (UNSMIL), Ian Martin, unterstrich angesichts dieser Situation die Bedeutung der Zivilgesellschaft. Sie müsse stärker in den politischen Übergangsprozess einbezogen werden, besonders bei der Integration der Milizen, der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen und der Vorbereitung von Wahlen, die voraussichtlich im Juni 2012 stattfinden sollen. Bei einem Treffen mit Jugend- und Frauenorganisationen, Ratsvertretern und Militärs vor wenigen Tagen versprach Martin Hilfe der Vereinten Nationen.
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