Braunfleckige Blumeninsel
Auf Mainau im Bodensee wurden einst Nazi-Opfer begraben, doch daran erinnert dort nichts mehr
Mehr als eine Million Touristen aus aller Welt besucht jährlich die Blumeninsel Mainau im Bodensee. Die Kassen klingeln fast rund um die Uhr, aus dem einst verträumten Kleinod ist längst eine profitable Geldmaschine geworden. Doch zwischen der prallen Blütenpracht versteckt sich ein Stück NS-Geschichte, an das auch die neue Generation der gräflichen Mainau-Besitzer bislang nicht erinnern wollte. Mit der Erinnerung an KZ-Opfer lässt sich einfach kein Geld verdienen.
Nun aber kursiert ein Offener Brief, in dem die Adelsfamilie Bernadotte aufgefordert wird, für die KZ-Opfer, die nach Kriegsende auf ihrer Insel gestorben sind, endlich eine Gedenktafel aufzustellen. Der Brief findet immer mehr Unterstützer, auch der renommierte Soziologe und Politikwissenschaftler Alfred Grosser trägt den Aufruf mit. Die Bernadottes geraten zunehmend unter Druck.
Anlass für den Brief war das Ende 2011 erschienene Büchlein »Französische Spuren in Konstanz«, herausgegeben von Daniela Frey und Claus-Dieter Hirt. Ein Beitrag befasst sich mit der Insel Mainau und beruft sich dabei auf die Recherchen von Arnulf Moser. Der Konstanzer Historiker hatte schon 1995 sein Buch »Die andere Mainau 1945« herausgebracht, in dem er unter anderem auf die Verstrickungen des damaligen Mainau-Grafen Lennart Bernadotte mit den Nationalsozialisten verwies.
Verpachtung in Kriegszeiten
Jener Lennart Bernadotte hatte die Insel 1943 für monatlich 5000 Reichsmark an die Organisation Todt, die bautechnische Abteilung im NS-Rüstungsministerium von Albert Speer, verpachtet. Er selbst befand sich zu jener Zeit in Schweden. Der Vertrag galt für die Dauer des Krieges. Die Insel sollte als Erholungsheim für Industrielle dienen, dazu kam es aber wegen der Kriegswirren nicht mehr. Lennart Bernadotte dennoch ein Kriegsgewinnler? Immerhin hatten ihm die Nazis seine zu jener Zeit marode Insel wieder auf Vordermann gebracht.
Später erklärte der Mainau-Graf, die Verpachtung an die Nazis sei notgedrungen gewesen. Angeblich habe man ihm mit Enteignung gedroht, wenn er sein Inselreich nicht verpachte. Doch es liegen handfeste Beweise vor, unter anderem der Schriftverkehr zwischen Bernadotte, dem damaligen Konstanzer Oberbürgermeister und Albert Speer, die den Mainau-Grafen in keinem guten Licht erscheinen lassen.
Bei Kriegsende übernahm die französische Armee die Insel Mainau und richtete dort von Mai bis September 1945 ein Reservelazarett für überlebende Franzosen ein, die überwiegend aus dem KZ Dachau kamen. Laut Arnulf Mosers Nachforschungen wurden auf der Mainau mehrere tausend ehemalige KZ-Häftlinge versorgt. Doch einige waren so ausgemergelt, dass ihnen nicht mehr zu helfen war. 33 starben und wurden auf einem Friedhof beerdigt, der sich am Südostufer der Insel befand.
Lennart Bernadotte war die Friedhofsanlage offenbar unangenehm - und so setzte er alle Hebel in Bewegung, um die Spuren der NS-Geschichte auf seiner Insel schnellstmöglich zu tilgen. Er sorgte dafür, dass die Toten 1946 exhumiert und auf den Konstanzer Hauptfriedhof umgebettet wurden. Knapp zwei Jahre später überführte man die sterblichen Überreste endgültig nach Frankreich.
Doch damit war die traurige Geschichte noch nicht zu Ende: Graf Bernadotte verlangte für die Bäume, die auf seiner Insel für den Bau des Friedhofs gefällt wurden, nachträglich Schadenersatz von der Stadt Konstanz. Und seit Jahren schon steht nun die Forderung im Raum, auf der Insel mit einer Gedenktafel der KZ-Opfer zu gedenken. Zeitlebens hat sich Lennart Bernadotte - er starb 95-jährig im Jahr 2004 - massiv dagegen gewehrt. Aber auch bei seinen Nachkommen stieß die Idee bis vor Kurzem auf wenig Gegenliebe. Anfragen von Claus-Dieter Hirt und Arnulf Moser wurden abgeblockt. Florian Heitzmann, Pressesprecher der Insel Mainau, ließ mehrmals lapidar verlauten: Ja, man überlege nun doch, auf die Webseite der Mainau einen kleinen Hinweis zu setzen, der »in groben Zügen an damals« erinnere. Eine kleine Gedenktafel sei jedoch zur Zeit kein Thema. Da aber mehrere Presseorgane aus dem Südwesten und der benachbarten Schweiz seit Wochen fast täglich über die vergessene Geschichte der Insel Mainau berichten, reagierten auch die Verantwortlichen auf der Mainau. Kurz vor Weihnachten erklärten Graf Björn und Gräfin Bettina, man wolle sich um eine »sichtbare Form der Erinnerung« bemühen, aber zuvor ein »Gesamtkonzept« erarbeiten, was »einige Zeit« in Anspruch nehme. Mehrere Regionalhistoriker seien gebeten worden, »die Geschichte der Mainau in den kommenden Monaten eingehend aufzuarbeiten«.
Spiel auf Zeit befürchtet
Kritiker befürchten, das Ganze sei ein erneuter Versuch, die Angelegenheit ein weiteres Mal zu verzögern. Auch Arnulf Moser ist aus leidvoller Erfahrung skeptisch: »Eine Kommission zu berufen, kann heißen: Erst einmal Zeit gewinnen, auf die lange Bank schieben, in sechs Monaten spricht keiner mehr davon. Es kann auch heißen: Hoffentlich kommt die Kommission zu einer anderen Bewertung der Fakten als ich.« Moser kann auch nicht nachvollziehen, warum sich die Bernadottes so zieren: »Die Mainau könnte das damalige Geschehen durchaus auch positiv verbuchen: Hier konnten ehemalige KZ-Häftlinge sich erholen. Das würde so manchen ausländischen Touristen beeindrucken.«
Eine GmbH
Die Insel Mainau ist mit etwa 45 Hektar Fläche die drittgrößte der Inseln im Bodensee. Mainau wird von einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der Mainau GmbH, betrieben. Die Insel und alle Liegenschaften wurden 1974 durch Gräfin Sonja und Graf Lennart Bernadotte in diese eingebracht. Die Mainau GmbH beschäftigt ganzjährig 150 und in der Blumensaison von März bis Oktober 300 Personen. (nd)
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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