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Warum Hilfe aus Österreich?
Marcel Keiffenheim über Stromreserven im In- und Ausland / Keiffenheim ist Leiter Energiepolitik beim Strom- anbieter Greenpeace Energy
nd: Am Donnerstag hat uns die Meldung aufgeschreckt, dass im Dezember Strom aus Österreich ins deutsche Stromnetz eingespeist werden musste. Die Deutsche Presseagentur schrieb dazu: »Der kleine Nachbar im Süden ist an manchen Tagen Garant dafür, dass die deutsche Energiewende nicht in einem großen Blackout mündet.« Das klingt bedrohlich.
Keiffenheim: Ja, ist aber übertrieben und wird der Situation überhaupt nicht gerecht. Klar ist, dass wir die Kapazitäten der abgeschalteten Atomkraftwerke ersetzen müssen. Greenpeace schlägt da den Bau von Gaskraftwerken vor. Es war immer klar gewesen, dass der Winter 2011/2012 eine Situation ist, in der man schauen muss, dass wir genügend Reservekraftwerke haben. Und die haben wir. Über die Bundesnetzagentur wurden sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz für genau solche Fälle große Kapazitäten gesichert: über 2000 Megawatt, die zur Verfügung stünden, wenn etwas nicht passen würde. Und das ist bislang ein einziges Mal eingetreten.
Welchen Fall meinen Sie?
Das war Mitte Dezember. Es gab Probleme in einem Atomkraftwerk in Süddeutschland, deshalb lieferte das Kraftwerk nicht. Dafür wurde dann in einem begrenzten Zeitraum aus Österreich zugeliefert, so wie das vorher vertraglich vereinbart worden war. Deutschland und Österreich haben ja ein gemeinsames Stromsystem, ohne Kupplungsstellen an den Grenzen, wie sie zu einigen anderen Ländern existieren. Es ist also einfach auch eine Opportunitätsfrage, ob das ein österreichisches oder ein deutsches Kraftwerk ist.
Mit Opportunität meinen Sie, dass Österreich eben näher an Süddeutschland ist als Norddeutschland?
Genau.
Aber den beschriebenen Fall hat es im Winter mehrmals gegeben.
Selbst wenn das mehrmals vorkommt - das ist überhaupt keine außergewöhnliche Situation.
Wie war denn die Lage im deutschen Stromnetz im Dezember?
Wir hatten ein vergleichsweise hohes Windaufkommen im Norden. Und im Süden den hohen Verbrauch. Offenbar waren die Leitungsnetze überlastet, so dass der Strom nicht in vollem Maße von Nord- nach Süddeutschland fließen konnte, so dass man sich entschied, Strom aus Österreich zu beziehen.
Der Anti-Kernkraft-Aktivist Jochen Stay behauptet, dass gleichzeitig aber weiterhin aus dem deutschen Netz Windenergie nach Italien und Österreich exportiert wurde. Der andere Strom aus Österreich sei nur deshalb importiert worden, weil sich das besser gerechnet habe: den einen teuer zu verkaufen und den anderen billiger zu importieren. Ist das so?
Das ist so, das ist auch bestätigt. Da gibt es längerfristige Verträge. Das hätte auch in Deutschland gelöst werden können, aber es gab keine Veranlassung dafür. Wichtig ist noch zu wissen, dass Deutschland 2011 trotz Abschalten der Atomkraftwerke ein Stromexportland geblieben ist. Die Behauptung, dass wir uns nicht mehr selbst versorgen können, die stimmt also so einfach nicht. Aktuell ist der Strompreis niedriger als vor Fukushima. Die Behauptung, wir würden in eine Mangelsituation hineingeraten, ist durch die Fakten widerlegt.
Fragen: Ralf Hutter
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