Die ganz spezielle Loreley
Vor einem Jahr verunglückte der Säuretanker »Waldhof« im Rhein - noch immer wird ermittelt
St. Goar. Es geschah frühmorgens auf Höhe der sagenumwobenen Loreley. Wo sich der Rhein durch einen 130 Meter breiten, aber mit mehr als 20 Metern sehr tiefen Engpass zwängt, kentert am 13. Januar 2011 der Frachter »Waldhof«, beladen mit rund 2400 Tonnen Schwefelsäure. Zwei Besatzungsmitglieder können sich retten, ein 63-Jähriger wird einen Monat später tot geborgen. Von dem vierten Matrosen fehlt bis heute jede Spur.
Die Havarie hält Hunderte Einsatzkräfte wochenlang in Atem, auf dem gesperrten Rhein stauen sich die Schiffe zeitweise von Köln bis Mainz. Auch ein Jahr danach ist noch kein abschließendes Urteil gefällt, die Staatsanwaltschaft ermittelt noch.
»Das war etwas ganz Besonderes und hat alles in den Schatten gestellt«, erinnert sich der stellvertretende Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Bingen, Florian Krekel. »Das brauchen wir so schnell nicht wieder.« Der Wasserstand sei damals sehr hoch gewesen, der Schiffsverkehr sehr dicht. Erst kurz zuvor war der Rhein nach einem Hochwasser wieder freigegeben worden.
Was folgte, war ein langer und riskanter Einsatz am 110 Meter langen Havaristen. In den sieben Tanks hatte eingedrungenes Wasser die Schwefelsäure verdünnt. Das Problem: Verdünnte Schwefelsäure greift den Edelstahl der Tanks an, dabei entsteht Wasserstoff. »Es war eine explosionsfähige Atmosphäre in den Tanks«, sagt Krekel. Die Experten leiteten Stickstoff ein, um den Wasserstoff zu verdrängen. Bis die »Waldhof« schließlich geborgen war, vergingen 33 Tage.
Verringerte Stabilität
Was bleibt, sind Fragen nach den Ursachen und Konsequenzen. Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Südwest in Mainz veröffentlichte vor wenigen Tagen einen 89-seitigen Zwischenbericht. Darin heißt es, der Frachter sei falsch beladen worden. Dass die sieben Tanks jeweils nur zum Teil gefüllt gewesen seien, habe die Stabilität verringert. Die Säure konnte hin- und herschwappen und sich aufschaukeln.
Das allein kann jedoch nach Einschätzung der Experten das Kentern des Schiffes nicht erklären. Von daher seien weitere Untersuchungen erforderlich. Auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz dauern noch an. Ermittelt wird wegen mutmaßlicher fahrlässiger Tötung und Körperverletzung sowie Gefährdung des Schiffsverkehrs. Für das Ökosystem hatte dieser Unfall nach Einschätzung von Ben van de Wetering, Geschäftsführer der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins in Koblenz, letztlich keine Folgen.
Grundsätzlich stelle die Schifffahrt aber schon ein Risiko dar, sagt van de Wetering. »Es hätte anders ausgehen können, wenn es ein Chemikalienfrachter mit Pestiziden an Bord gewesen wäre.« Und entlang des Rheins würden eben Chemikalien produziert und transportiert. »Wo gearbeitet wird, werden auch Fehler gemacht.« Insofern gebe es nie eine hundertprozentige Sicherheit.
Dass der Unfall nahe der Loreley geschah, hat weniger mit der langhaarigen Nixe zu tun, die der Sage nach auf dem Felsen sitzt, sich die Haare kämmt und mit ihrer Stimme Schiffer anlockt, als vielmehr mit landschaftlichen Besonderheiten der Passage. Es gibt enge Kurven sowie schnelle und unterschiedliche Strömungen, erklärt Krekel vom Wasser- und Schifffahrtsamt Bingen. »Das ist schon was Spezielles.« Es komme immer wieder zu Unfällen, ein »alles überragender Unfallschwerpunkt« sei es aber nicht.
Die Kontrollen auf dem Rhein hält der Experte für effektiv. Es werde stichprobenartig überprüft, wobei die Kontrolldichte sehr hoch sei. »Die Schiffe werden sehr viel häufiger kontrolliert als Pkw und Lkw auf der Straße.«
Havarist wird repariert
Möglicherweise schippert bald auch die »Waldhof« mal wieder in eine Kontrolle. Denn der Havarist wird nach Angaben der Reederei derzeit bei einer niederländischen Spezialwerft wieder auf Vordermann gebracht. Wann das Schiff wieder in Fahrt komme, sei aber noch nicht bekannt, sagte ein Sprecher der Rheinfracht GmbH.
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