Hoffnung auf ein gutes Geschäft
»Hitler und die Deutschen« ist eine nicht vergehende Debatte über Verstrickung und Leugnung, von Verblendung und Verdammung, von vermeintlichem Aufstieg und tiefstem Fall, von Terror und blindem Gehorsam, von Abscheu und Faszination, von Aufarbeitung und Abwehr. Aber insbesondere von über 50 Millionen Toten, von fabrikmäßiger Ermordung von Menschen und hinterlassener verbrannter Erde.
Nach der 2009 von den Medien überwiegend positiv aufgenommenen und aufgrund des großen Publikumsandrangs noch verlängerten Ausstellung »Hitler und die Deutschen - Volksgemeinschaft und Verbrechen« im Deutschen Historischen Museum, soll nunmehr »Mein Kampf« veröffentlicht werden. Noch nicht als Buch, sondern als 15-seitige Auszüge in »Zeitungszeugen«. Der englische Verleger Peter Mc Gee hatte 2009 diese Faksimileedition kreiert. Thematisch gebündelt erschienen bis Dezember 2010 in 96 Ausgaben Tageszeitungen aus der Nazi-Zeit. Aber auch Exilzeitungen und gelegentlich illegale Schriften aus dem deutschen Widerstand. In der Sache ausgewiesene Historiker kommentierten die einzelnen Ausgaben. Nach einem eher mäßig erfolgreichen Verkauf verordnete Mc Gee 2011 dem Blatt eine Pause.
Nun geht der Verleger mit »Zeitungszeugen« erneut auf den umkämpften deutschen Zeitschriftenmarkt. Offensichtlich sollen kommentierte Auszüge aus »Mein Kampf« die nächste Staffel von »Zeitungszeugen« auf Erfolgskurs bringen und der vermeintliche »Tabubruch«, erstmals das Original in Deutschland abzudrucken, als Verkaufsbeschleuniger eingesetzt werden.
Alles ist vorbereitet, nur das Bayerische Finanzministerium als Rechteinhaber sperrt sich noch. Da Hitler bis zu seinem Tod mit Wohnsitz in München gemeldet war, wurde sein Vermögen nach Kriegsende vom Freistaat Bayern eingezogen. Zu diesen Vermögenswerten zählen auch die Nutzungsrechte an »Mein Kampf«. Sie enden am 1. Januar 2016 (70 Jahre nach Hitlers Tod, gemäß Urheberrechtsgesetz). Das bayerische Finanzministerium hat bisher einem Abdruck des Gesamtwerks nicht zugestimmt und vertritt die Auffassung, dass dieser auch nach Erlöschen des Urheberrechts als Verbreitung verfassungsfeindlicher Propaganda sowie als Volksverhetzung strafbar sei.
In der angelaufenen Debatte, ob Hitlers Kampfschrift den deutschen Lesern häppchenweise zugemutet werden darf, und bei der Abwägung von dafür und dagegen scheinen bisher Gegenargumente kaum Berücksichtigung zu finden. Hitlers Schriften erfüllen den Straftatbestand der Volksverhetzung. Vor der Verbreitung von rassistischen, antisemitischen, sozialdarwinistischen und demokratiefeindlichen Inhalten, die sich bei der Lektüre von »Mein Kampf« zu Genüge bieten, sollte sich die Republik eigentlich schützen.
Der Herausgeber erhofft sich von der Veröffentlichung der Hitlertraktate ein gutes Geschäft. Es bleibt die Frage, wie viel und welche Aufklärung sich die Edition begleitenden und kommentierenden Historiker erwarten und warum diese nicht ohne O-Ton-Passagen betrieben werden kann.
Schließlich geht es nicht um krude oder schräge Auslassungen. sondern um die Verbreitung der Weltanschauung eines der größten Brandstifter und Massenmörder in der Geschichte der Menschheit. Die zentralen Botschaften über die »Entfernung der Juden« und in der »Schaffung von Lebensraum im Osten« führten in den Vernichtungskrieg mit der Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden sowie weiterer Millionen Menschen unter der »slawischen« Zivilbevölkerung. Hitlers Vorstellungen »Zehntausende Verbrecher der Novemberrevolution« hinzurichten, sind ebenso tödliche Realität geworden wie die Aussonderung und Vernichtung selbst definierter unheilbar Kranker.
Vertreter jüdischer Gemeinden und Mitglieder der VVN-BdA befürchten, dass die Faksimileedition von Nazi-Zeitungen mit »Mein Kampf«-Auszügen dem rechtsradikalen Publikum eine neue Plattform bieten könnte. Das mörderische Wirken des »nationalsozialistischen Untergrunds« und seine Vernetzung in der Neonaziszene und der NPD stehen in einem engen Kontext zu ihrem positiven Bezug auf die Ideologie der braunen Bewegung und ihrer Führungsgestalten. Was passiert, wenn die Neonazis mit dann veröffentlichten Zitaten aus Hitlers Pamphlet ihre Aufmärsche schmücken? Schließlich können sie sich darauf berufen, dass diese Parolen durch die Meinungsfreiheit - da inzwischen in »Zeitungszeugen« veröffentlicht - gedeckt sind. Dann wird die Polizei dieses »hohe Gut« sicherlich wieder einmal gegen unseren Protest schützen müssen.
Aber vielleicht rettet uns dieses Mal noch der Freistaat Bayern davor. Wer hätte das gedacht?
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