Ein schlafender Riese erwachte

Mit der ersten großen Protestwelle heute vor einem Jahr begann in Ägypten der Sturz Präsident Mubaraks

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 4 Min.
Ägypten beging am Mittwoch den Beginn der Revolte, die nach 30 Jahren die Herrschaft von Präsident Husni Mubarak beendete. Aus diesem Anlass hebt der regierende Oberste Militärrat den ebenfalls seit 1981 geltenden Ausnahmezustand auf, gab der Chef des Militärrates, Hussein Tantawi, am Dienstag bekannt. Doch das Land ist tief gespalten.

Zum Feiern ist nicht jedem zumute. Für den heutigen Mittwoch wurde zu Massenprotesten gegen die Armeeführung aufgerufen. Die Bewegung des 6. April fordert die Ägypter auf, »nicht, wie von der Regierung gewünscht, die Revolution zu feiern, sondern die Ziele der Revolution voranzutreiben«.

Sowohl Feiern als auch Proteste begleiteten bereits die erste Sitzung des neu gewählten Parlaments in Kairo am Montag. Anhänger der siegreichen religiösen Parteien erschienen mit Blumen und Fahnen der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, die - zusammen mit der Al-Nur-Partei (Partei des Lichts) - eine deutliche Parlamentsmehrheit bei den Wahlen errungen hatte. Vor den Absperrungen, die Armee und Polizei mit Stacheldraht um das Parlamentsgebäude gezogen hatten, protestierten andere mit drei Marschsäulen in Richtung Zentrum. Die einen forderten das Recht auf Meinungsfreiheit für Künstler, andere die Anerkennung der Opfer, die durch Einsätze von Sicherheitskräften und bezahlten Schlägertrupps während der dreiwöchigen Proteste vor einem Jahr ums Leben gekommen waren. »Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit« riefen protestierende Arbeiter, die Macht der Militärs müsse enden. Andere Demonstranten sprachen sich für ein säkulares Ägypten aus, keine Verfassung dürfe die individuellen Freiheiten einschränken.

Das neu gewählte Parlament trat zwei Tage vor dem »Tag der ägyptischen Revolution«, dem jüngsten nationalen Feiertag in Ägypten zusammen. Bisher sollten die Ägypter an jedem 25. Januar den »Nationalen Tag der Polizei« begehen. Doch vor einem Jahr hatten verschiedene Webseiten aufgerufen, am »Nationalen Tag der Polizei« gerade gegen Polizei und Sicherheitskräfte zu protestieren. Führend in der Mobilisierung für den 25. Januar war das Internetforum »Wir sind alle Khalid Said«, das von unmenschlichem Verhalten der ägyptischen Polizei berichtete. Said war ein 28-jähriger Computertechniker, der im Juni 2010 von zwei zivilen Polizisten in Alexandria auf offener Straße zu Tode geprügelt worden war. Sie habe gedacht, es würden höchstens 150 Leute dem Aufruf folgen, sagte damals eine Jurastudentin und Menschenrechtsaktivistin der Autorin in Kairo. Sie sei unsicher gewesen, weil sie bisher nie persönlich mit Gleichgesinnten kommuniziert hatte.

Als dann aber mehr als 2000 Leute zusammenkamen und sich in einem Protestzug in Bewegung setzten, war sie sicher, das Richtige getan zu haben. Polizei und Sicherheitskräfte des Innenministeriums schlugen erbarmungslos auf die Menschen ein, die dennoch immer mehr wurden. Als die Angst gebrochen war, begann die Belagerung des Kairoer Tahrir-Platzes, der schon lange ein Symbol ägyptischer Forderungen nach Freiheit war. Die Übertragung der Aktionen durch internationale Fernsehsender machte den Menschen Mut.

Frauen, die in den 18 Tagen der ägyptischen Revolution eine hervorragende Rolle spielten, waren begeistert von den »neuen sozialen Strukturen«, die sich auf dem Tahrir-Platz herausbildeten. Junge und alte Frauen waren präsent, sie kontrollierten Ausweise und Taschen, sprachen mit Medienvertretern, versorgten Kranke und Verletzte, verteilten Brot und Wasser, sammelten den Müll ein oder sorgten dafür, dass Videos und Fotos von den Protesten ins Internet gestellt wurden.

Ein neuer Anfang gebe neue Hoffnung, sagte mir damals eine junge Frau. Die Freundschaft, der Respekt gegenüber Frauen, die Erfahrung, gleichberechtigt und aufgehoben zu sein, werde sie nie vergessen. Höhepunkt der Entschlossenheit, ein neues Ägypten aufzubauen, war die große Säuberungsaktion, die zwei Tage nach dem erzwungenen Rücktritt Husni Mubaraks auf dem Platz und in seiner Umgebung begann.

Dann übernahm der Militärrat das Ruder, gestützt von den internationalen Verbündeten Mubaraks. Die Protestbewegung in Ägypten habe »den Weg für einen Militärputsch frei gemacht« analysieren heute manche arabischen Medien. Tatsächlich wurden grundlegende Forderungen der Protestbewegung ignoriert. Neue politische Parteien aber haben es schwer, sich Gehör zu verschaffen. Es ist deshalb kein Zufall, dass viele junge Leuten wieder darüber nachdenken, das Land zu verlassen.


Ägyptens Parlament

Stärkste Kraft ist die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Partei der Freiheit und Gerechtigkeit. 47 Prozent der Stimmen reichten für 235 Sitze. An zweiter Stelle folgt die konservativ-muslimische Partei des Lichts, die mit 24 Prozent der Stimmen auf 121 Mandate kam. Damit sind mehr als zwei Drittel der Mandate im Besitz islamisch geprägter Parteien.

Die liberale Wafd-Partei (8,4 Prozent) belegt im neuen Parlament 39 Sitze, die Ägyptische Allianz (6,6 Prozent), die der christliche Mobilfunkmagnat Nagib Sawiris ins Leben gerufen hatte, kommt auf 35 Sitze.

Vertreter junger und linker Gruppen, die maßgeblich am Beginn der Revolte vor einem Jahr beteiligt waren, spielen im neuen Parlament kaum eine Rolle.

Der Vorsitzende des Militärrates, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, ernannte zehn weitere Abgeordnete, darunter fünf Christen. Damit stieg die Zahl der Christen im Parlament von fünf auf zehn. Gemäß der Verfassung hat der Präsident, dessen Funktionen Tantawi ausübt, das Recht, zehn Mandate nach Gutdünken zu vergeben. (nd)

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