Ort für Christa W.
Eine Ausstellung im sächsischen Landtag
Lässt sich die Verehrung, die einer Schriftstellerin zuteil wird, in Zahlen fassen? 1976 erschien das Buch »Kindheitsmuster« von Christa Wolf. Zehn Jahre später druckte der Aufbau-Verlag die elfte Auflage. Der Band mit dem schlichten blauen Schriftzug auf der Schutzhülle gehörte zum Standardinventar auf den Bücherregalen literaturbegeisterter DDR-Bürger. In aller Regel war er dort nicht das einzige Werk Wolfs. »Kein Ort. Nirgends« etwa, die Novelle über eine fiktive Begegnung zwischen Heinrich von Kleist und Karoline Günderrode, die als messerscharfe, schmerzvolle Zustandsbeschreibung der erstarrten Verhältnisse im Heimatland der Autorin zu lesen war, erschienen 1979, brachte es in den wenigen Jahren bis zu dessen Untergang ebenfalls auf sieben Auflagen.
Freilich: Allein mit diesen Zahlen, die der Leipziger Literaturwissenschaftler Klaus Schumann zur Eröffnung einer Ausstellung über Christa Wolf im Sächsischen Landtag zitierte, lässt sich die »Dimension des Autors« nicht annähernd umreißen. Große Auflagen werden auch weniger bedeutenden Autoren zuteil. Dass Christa Wolf derart populär wurde, ist damit zu erklären, dass sie als »moralische Instanz« wahrgenommen wurde, wie André Hahn, der Chef der Linksfraktion, sagt.
In deren Fraktionsräumen wird jetzt an Wolf erinnert - mit großformatigen schwarz-weißen Fotos der Autorin, mit zahllosen Zeitungsausschnitten aus den bundesdeutschen Feuilletons der vergangenen gut 20 Jahre, die in Erinnerung rufen, welch scharfer Streit zunächst um die vermeintliche »Staatsschriftstellerin« tobte, und vor Augen führt, wie sich die Kritiker nach Wolfs Tod am 1. Dezember von der - wie Iris Radisch in der ZEIT schrieb - »berühmtesten und umstrittensten Schriftstellerin der deutschen Nachkriegsliteratur« verabschiedete. Gezeigt werden auch Buchcover, die Wolfs internationale Wirkung verdeutlichen - Ausgaben mit Titel wie »Premesse a Cassandra«, »Aucun lieu. Nulle part« oder »Niebo podzielone«.
Zu sehen sind aber vor allem Bücher, so die vertraute, bei Aufbau erschienene Taschenbuch-Ausgabe der Essaysammlung »Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht«, auf deren Cover sich das schlichte Fenster einer Neubauwohnung auf eine Strandszene von Caspar David Friedrich öffnet. Die Bände stammen indes nicht aus sorgsam gehüteten privaten Sammlungen, sondern aus dem Müll.
Sie wurden nach dem Ende des Leselands DDR aussortiert - aus Bibliotheken, von denen allein in Sachsen rund 500 geschlossen wurden; womöglich auch von Regalen, auf die eine Flut neuer Bände drängte. Das nämlich müsse ebenfalls angemerkt werden, sagt Peter Sodann: »Die Hälfte der Bücher von Christa Wolf sind schon verbrannt« oder auf der Müllhalde gelandet. Das, wettert der Schauspieler, habe nach Wolfs Tod »keiner geschrieben, nicht einmal neues deutschland«.
Sodann hat immerhin einige der Bücher gerettet. Sie gehören jetzt zum eine Million Bände umfassenden Bestand der Bibliothek, die er in einer Scheune im sächsischen Dorf Staucha einrichtet. Sie wird im Mai eröffnet. Die Ausstellung im Dresdener Landtag ist bis zum 2. März zu besichtigen.
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