Rückkehr des Klassenkampfes
Österreichs Arbeitnehmervertretungen bringen sich in Debatte um Budgetsanierung ein
Seit Wochen ringt die Wiener Koalitionsregierung aus sozialdemokratischer SPÖ und konservativer ÖVP um ein Sparpaket, das sie sich selbst auferlegt hat. Die Zurückstufung österreichischer Staatsanleihen durch die Ratingagentur Standard & Poor’s gab den Sparmeistern weiteren Schwung, Wirtschaftsforscher aus liberalen Denkfabriken taten ihr Übliches. Die von der bürgerlichen Presse - und eine andere existiert nicht in gedruckter Form in Österreich - breitgewalzten Vorschläge zur sogenannten Schuldenbremse reichen von der Anhebung des Pensionsalters über die Erhöhung der Mehrwertsteuer, Einsparungen im Gesundheitswesen und einem Aufnahmestopp bei Staatsdienern (außer in Polizei und Justiz) bis zur Änderung der Verwaltungsstruktur zwecks Abbau von Personal. Das Minus im Staatssäckel müsse ausgabenseitig bereinigt werden.
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hält sich an ein selbst auferlegtes Schweigegebot und kommentiert die Vorschläge nicht. Allenfalls aus der Provinz sind Stimmen zu hören, die vor einem »Kaputtsparen« mit dem Argument des drohenden Kaufkraftverlustes warnen. Liberale Ideen halten das mediale Terrain fest im Griff. Der Staat, so ihr primitiv gestricktes Denkmuster, müsse wie ein Unternehmen betrieben werden, also profitabel, dürfe aber keinesfalls neue Steuern einführen.
Nun meldete sich nach monatelanger Abwesenheit die Gewerkschaft zurück, zumindest in der Debatte. Mit Unterstützung der Arbeiterkammer, einer aus ständischem Denken verbliebenen Organisation der Lohnabhängigen, die derzeit eine gut ausgerüstete Denkfabrik für Wirtschaftsfragen betreibt, legte man ein Konzept zur Sanierung der Staatsfinanzen vor, das über das scheinbar unumstößliche Credo der ausgabenseitigen Lösung hinausreicht. ÖGB-Chef Erich Foglar skizzierte die Vorschläge der Arbeiter- und Angestelltenvertretung vor der Presse. So sollen von den regierungsseitig veranschlagten zehn Milliarden Euro, die in den kommenden fünf Jahren zusätzlich benötigt würden, um der Schuldenfalle zu entkommen, mehr als die Hälfte aus neuen Steuern requiriert werden. Die Megaprofite, die viele Unternehmer seit der Ostöffnung gemacht hätten, rechtfertigten nun, diese zur Kasse zu bitten. Die Statistik unterlegt sein Argument. Allein im vergangenen Jahrzehnt hat sich die Schere zwischen Kapitaleinkommen und Arbeitseinkommen stark erhöht. Ersteres verdoppelte sich, während unselbstständige Einkommen gerade einmal um zwölf Prozent stiegen.
Das Budgetsanierungskonzept der Gewerkschaft sieht u.a. die Wiedereinführung von Erbschafts- und Schenkungssteuer vor, eine gerechte Besteuerung von Privatstiftungen, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 50 auf 55 Prozent, eine massive Anhebung der Grundsteuer, die Reduktion der Möglichkeit, Verluste im Ausland in der heimischen Unternehmensbilanz abzuschreiben, sowie eine Besteuerung von Vermögen, die über 700 000 Euro liegen.
Die Forderungen klingen nicht besonders revolutionär. Der Nachdruck, mit dem sie aufgestellt wurden, war allerdings ungewöhnlich heftig. Hinter den Arbeitervertretern, so Rudolf Kaske vom ÖGB-Vorstand, stünden 1,2 Millionen Menschen, die es satt hätten, für die Staatsschulden allein aufkommen zu müssen. Nicht sie seien es schließlich gewesen, die 2008 die Finanzkrise ausgelöst und damit die Misere ins Rollen gebracht hätten. Sollte man nicht gehört werden, sagte der Gewerkschafter weiter, behalte man sich alle Optionen des Kampfes vor, auch die letzte, wie er betonte: den Streik.
Im sozialpartnerschaftlich beruhigten Österreich sind derlei Töne nicht oft zu hören. Entsprechend alarmiert geben sich Unternehmervertreter und ÖVP. Beide wollen von einnahmenseitigen Sanierungsmaßnahmen nichts wissen und beharren auf dem liberalen Diktum: weniger Staat, mehr privat. Die Gewerkschaft scheint, reichlich spät, aber nun doch aufgewacht zu sein. Und sie will »die Stimmung der Menschen draußen«, wie ÖGB-Chef Foglar es nannte, in die Verhandlungen und - notfalls - auf die Straße bringen.
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