Rousseff geißelt EU-Sparpolitik
Brasiliens Präsidentin kritisiert auf Weltsozialforum altmodische Konzepte
Brasiliens Präsidentin hat ihre Präferenzen offenbart: Mit einem symbolträchtigen Auftritt hat Dilma Rousseff das Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre aufgewertet. Anstatt wie ursprünglich geplant auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor Managern, Bankern und Politikern zu reden, geißelte die brasilianische Staatschefin in Porto Alegre die neoliberale Wirtschaftspolitik der EU.
Im Gegensatz zur EU hätten Südamerikas Mitte-Links-Regierungen »progressiv und demokratisch« auf die Krise reagiert, rief Rousseff vor Tausenden Anhängern. »In unseren Ländern gehen Armut und Ungleichheit zurück, während in anderen Regionen die Ausgrenzung zunimmt und Rechte verloren gehen. Heute geben wir unsere Souveränität nicht mehr auf, wenn Mächte, Finanzgruppen oder Ratingagenturen Druck auf uns ausüben.« Europa hingegen wiederhole gerade jene konservative Wirtschaftspolitik, die im Lateinamerika der 80er und 90er Jahre zu Stagnation, Demokratieverlust, mehr Armut und Arbeitslosigkeit geführt habe.
Mit Blick auf das ergebnislose G-20-Treffen im vergangenen November sagte Rousseff: »Es ist nicht einfach, neue Ideen zu entwickeln, wenn wir politischen und ideologischen Vorurteilen ausgesetzt sind.« Auf dem UN-Umweltgipfel Rio+20, der im Juni in Rio de Janeiro stattfindet, möchte die Gastgeberin ein »neues Entwicklungsmodell« in den Fokus rücken, bei dem wirtschaftliche, soziale und ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt würden. Auf die Demonstranten, die mit Transparenten und Pfiffen gegen den Bau des Megastaudamms Belo Monte und das neue Waldgesetz protestierten, ging sie jedoch mit keinem Wort ein. Stattdessen übte sie mit dem WSF-Motto »Eine andere Welt ist möglich« den Schulterschluss mit der Basis.
Große Resonanz fand das Seminar »Ökosozialismus oder Barbarei« der Rosa-Luxemburg-Stiftung, eine von rund 900 WSF-Veranstaltungen. Im Rahmen einer »Green Economy« strebten die Agrar- und Pharmamultis die totale Kontrolle über die Artenvielfalt an, warnte der Gentech- und Geoengineeringkritiker Pat Mooney von der Forschungsgruppe »Etc Group« aus Kanada. Wie schon auf dem großen UN-Umweltgipfel in Rio 1992 gehe es um »Besitz und Kontrolle der natürlichen Ressourcen«, meinte Mooney. Damals hätten sich die »Kolonialmächte« durchgesetzt, »die Biodiversität Lateinamerikas lagert im Botanischen Garten von Berlin und anderen Genbanken des Nordens«, kritisierte er. Der 64-Jährige gehört zu jenen Intellektuellen, die bis zum Sonntag die Grundsatzpapiere für den »Gipfel der Völker« vorbereiten, der im Juni parallel zum Rio+20-Umwelttreffen am Zuckerhut stattfindet. »Unsere Botschaft in Rio muss lauten: Ihr könnt die Natur nicht besitzen«, rief er beschwörend. Die Ermahnungen an die Globalisierungskritiker, sie sollten sich konstruktiv zeigen, tat er als »Bullshit« ab: »1992 waren wir positiv, und was ist dabei herausgekommen? Wir haben einen Haufen schöne Worte, die Konzerne haben einen Haufen Geld.« Dennoch schloss er mit einem zuversichtlichen Ausblick: »Weltweit werden immer noch 70 Prozent der Lebensmittel von Kleinbauern produziert, und jeweils 70 Prozent des Wissens über Artenvielfalt und medizinische Heilmittel befinden sich im Besitz indigener Völker«. Die sozialen Bewegungen müssten aber noch enger zusammenarbeiten, um den Zugriff der Konzerne abzuwehren, findet Mooney. Konzeptionell sei das in Porto Alegre debattierte Gemeingüter-Konzept, das neue Wege zwischen Markt und Staat erkundet, dafür besonders gut geeignet.
Das bis Sonntag dauernde Sozialforum steht unter dem Motto »Kapitalistische Krise, soziale und ökologische Gerechtigkeit«
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