Endlich Entschädigung
40 Jahre nach dem »Radikalenerlass« fordern Betroffene eine politische Auseinandersetzung
Sie wollen Wiedergutmachung. 40 Jahre nachdem der »Radikalenerlass« verabschiedet wurde, fordern die Betroffenen der Berufsverbote die vollständige Rehabilitierung. Mit einer Resolution hat jetzt ein kleiner Kreis von Menschen begonnen, Unterschriften zu sammeln. »170 sind es, und täglich werden es mehr«, erzählt Michael Csaszkóczy. Er ist Lehrer und der Jüngste in der Runde.
Die Hochphase der Berufsverbote, in der Tausende nicht in den Staatsdienst kamen, weil ihr Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung wegen Teilnahme an Demonstrationen, Mitgliedschaft in linken Organisationen oder Ähnlichem in Frage stand, liegt Jahrzehnte zurück.
2004 wurde Csaszkóczy der Eintritt in den Staatsdienst verwehrt. Tatort: Baden-Württemberg mit seiner damaligen Kultusministerin Annette Schavan (CDU). Der Vorwurf: aktives, öffentliches Eintreten gegen Neonazis, Mitgliedschaft in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg. Der Lehrer klagte, bekam 2007 Recht und wurde Beamter. 2009 sprach ihm ein Gericht einen Entschädigung von knapp 33 000 Euro für die entfallenen Gehälter zu. Derzeit klagt Csaszkóczy gegen den Verfassungsschutz für die Offenlegung und Löschung seiner Akte: Daten aus fast zwei Jahrzehnten ...
Sein Fall war der erste nach 20 Jahren, erzählt der heute 41-jährige Michael Csaszkóczy. Er ist einer von den Fünfen, die jetzt zum 40. Jahrestag des »Radikalenerlasses« um ein öffentliches Zeichen des Staats, um eine Entschuldigung und die Entschädigung der Betroffenen kämpfen. Viele der anderen - die meisten Lehrer, aber auch Angestellte und Arbeiter bei der Post oder der Bahn - sind im Ruhestand oder stehen kurz davor.
Vor zehn Jahren habe es eine ähnliche Initiative gegeben, erzählt Csaszkóczy, aber damals hätten sich nur sehr wenige Menschen beteiligt. Diesmal fingen sie zu fünft an, ihre haben Bekannte angeschrieben, die dann wiederum ihre Bekannten fragten - ein Schneeballsystem. »Die Dimension, wie viele Menschen das damals betroffen hat, wird schon klar, wenn man allein in der eigenen Stadt anfängt zu fragen.«
Als letztes Bundesland hob 1991 Bayern die Regelanfrage beim Verfassungsschutz auf. Immer noch existieren Nachfolgeregelungen in einigen Ländern. Beispielsweise hob das Land Bremen seinen »Radikalenerlass« Mitte Januar 2012 auf. In Bayern müssen Anwärter auf den öffentlichen Dienst in einem Fragebogen ihre Verfassungstreue beweisen, in Sachsen-Anhalt wurde jüngst über einen neuen Erlass, diesmal gegen Neonazis, debattiert.
Für viele der Betroffenen ist das Berufsverbot keine Vergangenheit. Nicht nur die Gehalts- und Rentenausfälle, die durch die jahrelangen Verfahren entstanden sind, wiegen schwer. »Man sollte seine Treue zu einem Rechtsstaat beweisen, der sich einem selbst gegenüber nicht als Rechtsstaat präsentierte«, sagt Csaszkóczy.
Ein wesentliches Ziel der Berufsverbote war die Einschüchterung, meint Csaszkóczy. »Ich gebe auch Kurse an der Uni. Wenn ich von Studierenden heute höre, dass sie aufhören wollen, auf Demos zu gehen, weil ihr Referendariat bald beginnt, merke ich, dass das bis heute nachwirkt.« Es gebe ein Klima der Angst vor Institutionen, vor einer Macht, die diese nicht haben dürften.
»Eine politische Auseinandersetzung über die schwerwiegende Beschädigung der demokratischen Kultur durch die Berufsverbotspolitik steht bis heute aus«, heißt es in der Resolution, die die Betroffenen im Juni der Ministerpräsidentenkonferenz übergeben wollen. Neben der Rehabilitierung und der Entschädigung fordern sie eine Offenlegung und Löschung ihrer Akten, die seit Jahrzehnten beim Verfassungsschutz liegen. Das Papier schließt: »Der ›Radikalenerlass‹ und die ihn stützende Rechtsprechung bleiben ein juristisches, politisches und menschliches Unrecht.«
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