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Wer zahlen kann, darf sprengen

Auf Sardinien verstärkt sich der Kampf gegen Verseuchungen durch militärische Versuche und Übungen

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.
Das größte NATO-Übungsgelände Europas liefert möglicherweise bald wichtige Beweise für die Schädlichkeit radioaktiver Munition.
Pitzente Bianco beim Vortrag zum sardischen Ort Quirra
Pitzente Bianco beim Vortrag zum sardischen Ort Quirra

Pitzente Bianco ist »sehr aufgewühlt«. Der 49-jährige Berliner ist gerade von Sardinien zurück gekommen, wo er das ZDF bei Dreharbeiten unterstützt hat. Bianco stammt von dort, lebt aber seit 30 Jahren in Berlin. Hier ist er in einem seit 2006 bestehenden Verein aktiv, dessen Name übersetzt »Kulturbotschaft Sardiniens in Berlin« lautet.

Bei der Beschäftigung mit der Geschichte Sardiniens stieß der ehemalige Musiker auf das derzeit brisanteste Thema der Insel: die Auswirkungen der vielen dortigen militärischen Tests. Sardinien hat auf allen Seiten militärisches Sperrgebiet. »Wer die nötige Miete aufbringt, kann hier alle möglichen Waffenversuche machen, auch Firmen«, klagt Bianco.

Hauptschauplatz seiner Recherchen zu giftigen Rückständen der militärischen Aktivitäten ist das Gelände namens »Salto di Quirra«, der größte NATO-Übungsplatz Europas. »Er ist 13 000 Hektar groß und umfasst mehrere Ortschaften«, erklärt Pitzente Bianco. »Er ist perfekt, weil hier Versuche zu Wasser, zu Land und in der Luft möglich sind.« Zu den Treibstofftests, die riesige Rauchschwaden erzeugen, kann Bianco ein Video zeigen. Oft würden auch unbrauchbare Waffensysteme und Munition gesprengt. »Nanopartikel von Schwermetallen werden für viele Krankheiten im Ort Quirra verantwortlich gemacht«, so der kritische Rechercheur, der vor dem ZDF schon der »taz« (wo seine Ehefrau als Journalistin arbeitet) bei Recherchen vor Ort half.

Aus einigen Teilen der Insel will schon niemand mehr Lebensmittel kaufen, berichtet er. Missbildungen bei neugeborenen Menschen und Tieren sowie tödliche Krebsfälle bei jungen Männern, die nur ihren Wehrdienst auf einem der sardischen Stützpunkte leisteten, sind in der Gegend längst bekannt. »Fiordalisi hat erst vor ein paar Monaten wieder missgebildete Lämmer konfisziert«, weiß Bianco.

Oberstaatsanwalt Domenico Fiordalisi löste 2011 viel Unruhe aus, als er den Anhaltspunkten nachging. Der Journalistin Aureliana Sorrento zufolge, die über die Angelegenheit ausführlich für den Deutschlandfunk berichtete, ging dem die Enthüllung von geheimen Papieren des Militärministeriums voraus, wonach die Gefahren der Uranmunition und die hohen Krebsraten um Salto di Quirra lange bekannt gewesen waren. Im Dezember hat Fiordalisi, der schon Land konfiszierte, Exhumierungen von an Krebs gestorbenen Schäfern (das Übungsgelände diente stets auch als Weide) und Soldaten durchführen lassen. Die Ergebnisse benötigt er im anstehenden Prozess gegen die Armee.

Dass Salto di Quirra massiv unter giftigen Rückständen leidet, ist nun auch offiziell unstrittig. Soeben, berichtet Bianco, hätten die Behörden bei einer vierstündigen Dorfversammlung in Anwesenheit von Experten und eines Senators, der in Rom an einer Untersuchungskommission beteiligt sei, zugegeben, dass 1000 Hektar des Übungsplatzes verseucht sind. Schwieriger jedoch ist die konkrete Frage nach dem Uran. Das gebe es in natürlicher Form nämlich auch auf der Insel, erklärt Bianco - und Versuche mit abgereichertem Uran (DU) gebe die Armee nicht zu.

Doch sind entsprechende Verdachtsmomente überzeugend. »Da stehen durchlöcherte Panzerwracks rum«, berichtet Bianco - es wurde also panzerbrechende Munition benutzt. Der Physikprofessor Massimo Zucchetti hat gegenüber der Journalistin Sorrento erklärt, kürzlich DU in den Knochen eines neugeborenen Lammes mit dem Ansatz eines zweiten Kopfes gefunden zu haben. Zucchetti stellt zudem die Frage: Wo soll die von NATO-Staaten verwendete DU-Munition sonst getestet worden sein, wenn nicht in Salto di Quirra? »Das kann ich unterschreiben«, so Bianco, der von einer ähnlichen Aussage eines Soldaten weiß, der später an Krebs starb. Der Rechercheur weiter: »Es gibt Dokumente, die zeigen, dass in Salto di Quirra in den späten 1990ern oder 2000ern Tausende ›Milan‹-Raketen verschossen wurden, die Thorium enthielten.« Thorium wirkt und strahlt ähnlich wie DU.

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