Grüner Kapitalismus?
Selbst bei der Unternehmensberatung »Pricewaterhousecoopers« schwindet der »vorsichtige Optimismus«
Wachsende Wirtschaft, substanziell sinkender Klimaschaden: Klingt paradox. Doch mancher hofft darauf – so die Freunde eines »Green New Deal«, weit voraus eilend der ehemalige Wachstums-Kritiker Ralf Fücks, Vorstand der grünen Heinrich-Böll-Stiftung. Mancher beschwört die Hoffnung schlicht aus schnödem Interesse. Insbesondere jene Greenwashing betreibenden Teile der Wirtschaft und ihrer Interessenverbände, sofern sie den Klimawandel oder dessen Bedeutung nicht gleich bestreiten lassen.
So oder so: Den Lobbyisten geht um das Weiter-Machen-wie-bisher. Das immerhin kann man dem Grünen Fücks gewiss nicht vorwerfen: Er setzt auf massive Effizienzfortschritte und Erneuerbare Energien – und strebt »Wohlstandsgewinne« weltweit an, die jedoch umwelt- und klimaverträglich sein müssten.
Aber ist das realistisch – bei fortgesetztem Wachstum weltweit, also auch im Norden? Die substanzielle Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Kohlendioxid-Ausstoß ist – zumindest bis dato – ein Mythos. Das belegt eine aktuelle Studie der Unternehmensberatungs-Gesellschaft »Pricewaterhousecoopers«, die eine solche Entkoppelung für nötig, also möglich hält.
»Statt zu langsam in die richtige, bewegen wir uns derzeit in die falsche Richtung«, so das Fazit der Studie. Auch 2010 wuchsen die Kohlendioxid-Emissionen laut »Pricewaterhousecoopers«, diesmal jedoch sogar »schneller als die Wirtschaft«. Global korrespondierten 5,1 Prozent Wirtschaftswachstum demgemäß mit einem 5,8-prozentigem Anstieg der Kohlendioxid-Emissionen.
Besonders krass ist das Verhältnis in den USA (2,9 zu 4,1 Prozent), in Deutschland wuchsen Wirtschaft und Klimaschaden in etwa gleich, das selbe gilt für das Boomland China (das in den 1990er-Jahren massive Fortschritte erzielte, jedoch heute stark auf Kohlekraft setzt). Australien hingegen agierte entgegen dem Trend: Drei Prozent Wirtschaftswachstum gingen hier einher mit einer knapp neunprozentigen Senkung der Kohlendioxid-Emissionen.
Allerdings hat Australien auch die besten Potenziale: Seit Jahren gilt es als weltgrößter Pro-Kopf-Verschmutzer. Starterfolge sind da leicht zu erzielen. Gleichwohl bleibt Australien abhängig vom Kohleexport – die Kohleverstromung gilt Klimaschützern als eines der Hauptsorgenkinder.
Historische Höchstmarke
2010 erreichte die Welt, was den Kohlendioxid-Ausstoß anbelangt, einen historische Höchstmarke. Das kann eine bloße Momentaufnahme sein. Die Fragen bleiben: Kann die Weltwirtschaft weiter wachsen und können wir dennoch jene drastischen Reduktionsszenarien umsetzen, die zwecks Eindämmung des Klimawandels vonnöten sind? Kann es ein »grünes Wachstum« geben? Und das auch noch unter kapitalistischen Bedingungen?
Ein Maß dafür ist die »Carbon Intensity«, was sich noch am ehesten mit »Kohlestoffintensität« übersetzen lässt. Der Begriff beschreibt den Kohlendioxid-Ausstoß bezogen auf die Wirtschaftsleistung, wie sie das BIP (verkürzt!) beschreibt. Je höher die »Carbon Intensity«, desto mehr Kohlendioxid-Ausstoß pro umgesetztem Euro.
Wächst die Wirtschaftsleistung um drei Prozent in einem gegebenen Jahr, müsste die »Carbon Intensity« im selben Zeitraum um den selben Betrag sinken, damit die absolute Menge Kohlendioxid wenigsten gleich bleibt. Es geht in diesem Konzept letztlich um jene Effizienzfortschritte, die Böll-Stiftungs-Boss Ralf Fücks erstrebt.
»Pricewaterhousecoopers« rechnet vor: Zwischen 2000 und 2009 sank die »Carbon Intensity« im Durchschnitt pro Jahr um 0,7 Prozent – zunächst ein Grund für »vorsichtigen Optimismus«. Gleichwohl hätte sie um 4,7 Prozent pro Jahr sinken müssen, um den globalen Kohlendioxid-Ausstoß bis 2050 auf ein Fünftel zu reduzieren, trotz fortgesetztem Wirtschaftswachstum auch im Norden.
Optimismus? Verflogen!
Zwischenzeitlich ist der »vorsichtige Optimusmus« selbst bei den Unternehmensberatern verflogen. 2011 habe die Welt in Sachen »Carbon Intensity« erstmals keinen Fortschritt erzielt: »Tatsächlich haben wir die Carbon Intensity des Wachstums erhöht«. Die Studie spekuliert auch über die Gründe: Dazu zählen die kalten Winter 2010, und ein Preisvorteil von Kohle gegenüber dem weniger klimaschädlichen Erdgas, ferner ein Rückgang beim Ausbau erneuerbarer Energien.
Auch seien Fortschritte »in der Vergangenheit« nur durch »außergewöhnliche Umstände« erreicht worden: Genannt wird beispielsweise der massive Ausbau der Atomkraft in Frankreich in den 1980er-Jahren und Großbritanniens teilweiser Verzicht auf Kohlekraft ein Jahrzehnt später. Verbessert habe sich die »Carbon Intensity« beider Länder um 4,2 (Frankreich) respektive drei Prozent (Großbritannien) pro Jahr. Selbst das reicht nicht. Nicht in diesem wachstumsfreundlichen Modell.
Generell spiele der Energiemix und die Energieeffizienz eine große Rolle, so die Studie. Hier sei gar »eine Revolution« vonnöten. Die Macht der alten, schmutzigen Energiekonzerne jedoch ist groß – nicht nur in Deutschland wehren sie sich mit Zähnen und Klauen gegen jegliche Veränderung, die ihr »bewährtes« Gewinnmodell gefährdet.
Und billig wird das Ganze, auch dank früherer Fehlinvestitionen, nicht. Oder in den Worten von »Pricewaterhousecoopers«: »Viele Länder versuchen, den Einsatz erneuerbarer Energien zu erhöhen. Doch deren hohe Kosten und die finanzielle Herausforderung sind bedeutsame Hürden für den Übergang in eine kohlendioxidarme Wirtschaft.«
Derweil wird die Herausforderung nicht kleiner: Statt um 4,7 müsste die »Carbon Intensity« nach den jüngsten Rückschlägen um 4,8 Prozent pro Jahr sinken. So rechnet »Pricewaterhousecoopers« es vor. Der Übergang zu offenem Pessimismus, er dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Selbst dort.
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