Schlag in die Magengrube
Musical-Konzern will weiter Beschäftigte ausgliedern - nicht aus Geldnot, sondern aus Profitdenken
Seit mehr als einem Jahrzehnt präsentiert der Konzern Stage Entertainment bunte Musical-Welten. Derzeit bezaubert noch »Sister Act« die Zuschauer im Operettenhaus Hamburg (OPH) an der Reeperbahn. Ab November soll »Rocky« dort die Fäuste schwingen. Der erste Schlag hat bereits gesessen. Allerdings kam er nicht vom »italienischen Hengst« auf der Bühne, sondern vom Arbeitgeber hinter den Kulissen. Getroffen wurden die Ankleider - »und zwar mitten in die Magengrube«, sagt Vera Kohrt, die seit zehn Jahren in der größten Backstage-Abteilung des OPH arbeitet. Der 49-jährigen Mutter von zwei Kindern und ihren 30 Kollegen droht eine erhebliche Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen oder gar der Gang zum Arbeitsamt.
Der Grund: Der Konzern will - wie bereits mit mehr als 150 Beschäftigten in sechs von seinen elf Theatern im Bundesgebiet geschehen - die Abteilung Ankleider in ein anderes Unternehmen ausgliedern. Begründung des Musical-Giganten (Jahresumsatz: über 300 Millionen Euro): Es sei eine »Steigerung der Rentabilität« geplant und ermittelt worden, dass durch das Outsourcing eine Einsparung von mindestens 170 000 Euro jährlich möglich sei.
Der Konzern tut offenbar ohne Not was er kann und entledigt sich einer lästigen Kostenstelle. Denn Geldmangel ist dieses alles andere als arbeitnehmerfreundliche Vorhaben nicht geschuldet. Das expandierende Unternehmen mit 4000 Beschäftigten in zwölf Ländern hat kürzlich das Prunkstück des sich stetig reduzierenden Tafelsilbers der Hansestadt, das traditionsreiche Operettenhaus, gekauft. Darüber hinaus will er neben seinem an der Elbe gelegenen Hafentheater eine vierte Musical-Spielstätte in Hamburg (eine weitere gibt es in Altona) bauen - plus Seilbahn über den Fluss.
Laut ver.di hat die Stage Entertainment seit 2002 schrittweise fast ein Drittel ihrer Beschäftigten ausgegliedert oder entlassen. Die nächste Stufe ihrer Salamitaktik hat für die Ankleider des OPH vermutlich bittere Folgen: »Es ist absehbar, dass keine oder schlechtere Tarife gelten werden und die Kräfte als Zeitarbeitskräfte extrem flexibel eingesetzt werden sollen. Der Schutz von Betriebsräten fehlt«, meint die stellvertretende Landesleiterin von ver.di Hamburg, Agnes Schreieder.
Die jüngst gegründete, aber noch nicht im Handelsregister verzeichnete Firma Tempcrew, die die Ankleider aufnehmen soll, ist alles andere als vertrauenerweckend: Sie ist eine sogenannte Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), eine Gesellschaftsform, die wegen des geforderten Stammkapitals von nur einem Euro auch als »Billigheimer GmbH« verschrien ist. »Nicht gerade ein beruhigender Gedanke, in eine Firma überzugehen, die praktisch zu keinerlei Haftung verpflichtet ist«, findet Ankleiderin Vera Kohrt. Aber das ist nicht das einzige Problem. Der Geschäftsführer der Ein-Euro-Leiharbeitsfirma, Joachim Hipp, war bereits mit seinem Personaldienstleistungs-Unternehmen Crew Concept im OPH tätig. 2010 hatte dessen Betriebsgesellschaft den Vertrag mit Hipp gekündigt und den Anbieter gewechselt. Begründung: Dieser zahle einen »fairen Mindestlohn«. Die Geschäftsleitung wollte sich, wie sie betont, keiner »Schlecker-Diskussion« ausgesetzt sehen.
Dass Hipp sein Personal zu Billiglöhnen beschäftigt und ihnen frühkapitalistische Arbeitsbedingungen zumutet, stört die Verantwortlichen bei Stage Entertainment knapp zwei Jahre später offenbar nicht mehr. »Neuerdings loben sie die Hipp-Unternehmen für ihre langjährige ›Zuverlässigkeit‹ und ›Leistungsfähigkeit‹. Das ist zynisch«, sagt der OPH-Betriebsratsvorsitzende Michael Sommer. »Heutzutage werden Betriebsübergänge immer häufiger von Unternehmen benutzt, um Tarifflucht zu begehen, Arbeitnehmer billig loszuwerden und zu verhindern, dass sie ihre berechtigten Ansprüche geltend machen«, ergänzt Arbeitsrechtsanwalt Berndt Bildstein, der den Betriebsrat seit mehr als 20 Jahren betreut. Es gebe nicht einmal eine Garantie, so Bildstein weiter, dass Tempcrew nicht bereits nach kurzer Zeit Insolvenz anmelde.
Der Vorteil für die Stage Entertainment, ihre Arbeiternehmer in andere Firmen abzuschieben statt ihnen eine Kündigung auszusprechen, liegt auf der Hand: Sie muss die in den ver.di-Tarifverträgen festgelegten Abfindungen nicht zahlen - im OPH eine Gesamtsumme von mehr als 400 000 Euro. Der Betriebsrat kündigt an, dass er den »K.O.-Schlag« der Ankleider »nicht hinnehmen« wird. Die Betroffenen, die mittlerweile aus anderen Theatern Hunderte Solidaritätsunterschriften erhalten haben, wollen heute mit einer Flugblatt-Aktion vor dem OPH auf ihre Situation aufmerksam machen.
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