Vorübergehend verloren
BMW-Betriebsrat scheitert mit Widerspruch gegen Leiharbeit
Sechseinhalb Jahre ist der dienstälteste von 33 Leiharbeitern, um deren Anstellung gestern am Leipziger Arbeitsgericht verhandelt wurde, bei BMW im Norden der Stadt beschäftigt. Sein Vertrag wurde immer wieder um zwölf Monate verlängert, zuletzt im Dezember 2011. Doch diesmal stellte sich der Betriebsrat quer und verweigerte die Zustimmung - wie bei allen der insgesamt 1100 Zeitarbeiter, die in dem Werk tätig sind. Der Konzern sah das nicht gern und klagte.
Die Leiharbeit spielte in dem 2005 eröffneten Betrieb stets eine ungewöhnlich große Rolle: Ein Drittel der Belegschaft wird bei Zeitarbeitsfirmen rekrutiert. »Wir wollen«, sagt Betriebsratschef Jens Köhler, »von diesem hohen Anteil weg«. Mit dem Ansinnen sind die Arbeitnehmervertreter gestern im ersten von insgesamt neun Verfahren, die bis Juli vor dem Arbeitsgericht geführt werden, gescheitert. Es sei zwar »verständlich«, dass der Betriebsrat einen höheren Anteil an Stammkräften durchsetzen wolle, sagte Richter Uwe Heymann. Das Betriebsverfassungsgesetz räume aber keine Möglichkeit ein, auf diese Weise gegen die Besetzung von Stellen mit Leiharbeitern vorzugehen. Das Verfahren sei »nicht geeignet«, die umstrittene Frage zu klären. Der Betriebsrat will in die nächste Instanz gehen.
Der Betriebsrat hatte sich bei der Verweigerung seiner Zustimmung vor allem auf das im Dezember 2011 neu geregelte Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung berufen. In Paragraf 1 heißt es, dass Zeitarbeiter in Unternehmen »vorübergehend« beschäftigt werden. Im Fall des BMW-Werks werden manche Arbeiten seit neun Jahren von den selben Zeitarbeitern erledigt; auch die Quote ist unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung nie deutlich heruntergefahren worden. Sie sei »konzeptionell« für das Werk - und widerspricht nach Ansicht von Volker Jährling, dem Anwalt des Betriebsrats, gegen eine EU-Richtlinie von 2008, die im vorigen Dezember in deutsches Recht umgesetzt wurde. Freilich: Das Gesetz beschreibt die Leiharbeit zwar als »vorübergehend«. Die Regierung habe aber, wie BMW-Anwalt Steffen Tietze betont, »explizit« nicht geregelt, für welche Dauer ein Arbeitnehmer höchstens an dasselbe Unternehmen verliehen werden darf. Zudem wies Betriebsratsanwalt Jährling auf ein Dilemma hin: Gegen eine unangemessene Ausweitung der Leiharbeit könne faktisch niemand klagen.
Anders als in Fragen der Bezahlung, dürfe der Leiharbeiter selbst nicht vor Gericht ziehen. Der Betriebsrat, so das Gericht, kann zwar widersprechen, wenn die Beschäftigung eines Mitarbeiters in einem bestimmten Bereich gegen ein Gesetz verstößt. Gibt es solche grundsätzlichen Bedenken nicht, hat er auf die Modalitäten der Beschäftigung keinen Einfluss.
Der Betriebsrat wendet sich nicht generell gegen Leiharbeit. Diese sei »für eine gewisse Flexibilität notwendig«, sagte Köhler. Allerdings müsse der Anteil deutlich gesenkt werden. Auf eine bestimmte Quote wollte er sich nicht festlegen. Im Prinzip scheinen die Vorstellungen zwischen Betriebsrat und der Geschäftsführung des Leipziger BMW-Werks nicht weit auseinander zu liegen: Am Tag vor dem Prozess habe man sich beinahe geeinigt, sagte Köhler. Einspruch kam vom Konzern und Gesamtbetriebsrat: »Wir wurden zurückgepfiffen.« Das Unternehmen strebe eine grundsätzliche Klärung an. Diese wird wohl nicht am Arbeitsgericht Leipzig erfolgen. Zwar werden dort bis zum Sommer acht weitere Verfahren vor anderen Kammern als der gestrigen geführt. Eine Entscheidung, das räumte Richter Heymann gestern ein, wird aber wohl frühestens vor dem Landesarbeitsgericht fallen.
Das Handeln des BMW-Betriebsrates ziele auf eine eine wichtige Grundsatzentscheidung über die Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, sagte der sächsische DGB-Vize Markus Schlimbach der dpa. In Sachsen gibt es nach DGB-Angaben derzeit rund 55 000 Leiharbeiter. Der größte Anteil sei in der Metall- und Elektroindustrie zu finden und vor allem bei den Automobilherstellern, hieß es laut dpa. Kommentar Seite 4
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