Grün-rote Räumung

Polizeiaktion gegen Protestcamp der Stuttgart-21-Gegner im Schlossgarten ist friedlich verlaufen

  • Gesa von Leesen, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.
Das letzte physische Hindernis für die umstrittenen Baumfällarbeiten für die Baustelle des Milliardenprojekts Stuttgart 21 ist beseitigt - und die Politik erleichtert, dass es dabei nicht zu einem zweiten »Schwarzen Donnerstag« kam.

Nun kann die Bahn in Stuttgart Bäume fällen. Nachdem die Polizei in der Nacht auf Mittwoch das Zeltdorf der Stuttgart-21-Gegner im Schlossgarten geräumt hat, steht der Bahn nichts mehr im Wege. Bereits am Vormittag fielen die ersten Bäume, in den kommenden Wochen wird das Baufeld komplett von Platanen, Eichen, Götterbäumen frei gemacht. Dass der Großeinsatz der Polizei gegen die S21-Gegner weitgehend friedlich ablief, erleichterte vor allem diejenigen, die für den Bau des Tiefbahnhofes verantwortlich sind. Wohl auch weil manche ansonsten ihre politische Laufbahn gefährdet sahen.

»Keine Frage, wenn das aus dem Ruder gelaufen wäre, wären wir in schweres Fahrwasser gekommen.« So der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach der Parkräumung in einem kurzen Statement. Im Vorfeld der Parkräumung hatte sich bei allen Beteiligten und Betroffenen merkbare Nervosität breit gemacht. Schließlich haben in Stuttgart alle noch die martialischen Bilder vom Einsatz am 30. September 2010 im Kopf, als die Polizei mit Wasserwerfern gegen Stuttgart-21-Gegner vorging. Der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) wurde auch wegen dieses Einsatzes ein halbes Jahr später abgewählt. Wäre der aktuelle Einsatz unter einem grünen Ministerpräsidenten ähnlich eskaliert, hätte das die grün-rote Koalition gefährden können.

Also nimmt man Kretschmann ab, dass er »sehr, sehr froh« sei, weil der Einsatz ohne größere Zwischenfälle verlaufen sei. Er lobte nicht nur die Polizei, weil diese »sehr umsichtig und professionell« vorgegangen sei. Auch den Projektgegnern dankte der Ministerpräsident, »weil sie ganz überwiegend friedlich protestiert haben«.

Ähnliche Töne kamen vom Stuttgarter Polizeipräsidenten Thomas Züfle. Er dankte ebenfalls nicht nur den Polizisten, sondern auch den Protestierern. Zwar habe es aus deren Reihen auch Beschimpfungen der Beamte gegeben. Aber das könne er verstehen, sagte Züfle. »Die Bäume waren die letzte Ikone des Widerstands. Man hat in der Nacht gemerkt, dass viele traurig waren. Ihnen muss man die Zeit der Trauer einräumen.« Selbst der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl erkannte an, dass die S21-Gegner, die im Vorfeld zunehmend als Chaoten und Randalierer betitelt worden waren, friedlich geblieben waren.

Den Harmonie-Reden schlossen sich die Protagonisten des S21-Widerstandes allerdings nicht an. Matthias von Herrmann, Sprecher der Parkschützer, erklärte nach dem Einsatz: »Der überfallartige Einmarsch der Polizisten wirkte aggressiv und provozierend.« Die Polizei habe grundlos Schlagstöcke eingesetzt und Umstehende rücksichtslos geschubst. Von Deeskalation sei da nicht viel zu merken gewesen. »Der friedliche Ablauf der Nacht ist allein Verdienst der ruhig und besonnen agierenden Demonstranten«, heißt es in einer Mitteilung der Parkschützer.

Doch im Vergleich zum Einsatz vor anderthalb Jahren zeigte die Polizei diesmal deutliche Zurückhaltung. Die Polizei trat nicht gepanzert auf, Dutzende Polizisten waren als Anti-Konflikt-Teams unterwegs, auch bei den S21-Gegnern sorgten Aktivisten mit Deeskaltions-Westen für Beruhigung, wenn die Emotionen mal aufflammten.

Bei aller Wut und Trauer - als endgültige Niederlage sehen viele S21-Gegner die Parkräumung und Baumrodung nicht. Drei Damen zwischen 50 und 70 Jahren in langen Woll- oder Wildledermänteln, die während ihrer Mittagspause das Geschehen im Schlossgarten von der Absperrung aus beobachten, erklären, sie würden weiter demonstrieren. »Weil das nicht in Ordnung ist, was die hier machen. Da muss man hinstehen und das denen zeigen!«

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