Amt oder Würde

»nd« fragte, was die Kandidatur von Beate Klarsfeld für die politische Kultur in Deutschland bedeutet

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 9 Min.
Hans Coppi
Hans Coppi

Union, FDP, SPD und Grüne haben Joachim Gauck für die Bundespräsidentenwahl am 18. März nominiert. Die LINKE wurde als einzige im Bundestag vertretene Partei von vornherein von der Nachfolgesuche für den zurückgetretenen Christian Wulff ausgeschlossen. SPD und Grüne haben dies fraglos hingenommen. Thomas Oppermann, Fraktionsgeschäftsführer der SPD, meinte gleichwohl die LINKE rügen zu müssen, dass sie sich nicht brav gefügt, sondern mit Beate Klarsfeld eine eigene Kandidatin nominiert hat. Die LINKE hätte »über ihren Schatten springen« sollen, sagte Oppermann. Das stand den anderen zuvor auch frei. SPD und Grüne hätten Courage zeigen und Merkels Gesprächsangebot freundlich etwa so beantworten können: Gerne überlegen wir gemeinsam, aber - bei allen Differenzen - ohne Ausgrenzung mit allen Bundestagsfraktionen. Doch der eigene Schatten von SPD und Grünen ist zu groß und ihre Sprungkraft zu gering, um solches von ihnen zu erwarten.

Walter Mossmann
Walter Mossmann

Nun also Beate Klarsfeld versus Joachim Gauck. Letzterem ist die Mehrheit der Bundesversammlung sicher. Für die öffentliche Debatte ist dennoch etwas gewonnen - oder nicht? »nd« fragte, was die Kandidatur von Beate Klarsfeld für die politische Kultur in Deutschland bedeutet.


Beate Klarsfelds mutiger Protest gegen Nazis in Führungsgremien der Parteien wie auch im Staatsapparat der alten Bundesrepublik sowie ihr Engagement für eine Bestrafung von Naziverbrechern und Mördern war eine emanzipatorische Leistung und bleibt ein humanistisches Verdienst. Mit ihren spektakulären Aktionen hat sie den Opfern des Faschismus wieder eine Stimme gegeben. Ihre öffentliche Empörung hat kontroverse Debatten angestoßen, letztlich aber das Bewusstsein, Verantwortung für die Schandtaten des Naziregimes zu übernehmen, gestärkt und somit die Erinnerungs- und Gedenkkultur in der Bundesrepublik maßgeblich verändert.

Mit ihrer Nominierung wird ihr antifaschistisches Lebenswerk gewürdigt und zugleich ein klares Zeichen gegen Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus im 21. Jahrhundert gesetzt.

Hans Coppi (69, Historiker, Sohn der von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfer Hans und Hilde Coppi)


Beate Klarsfelds historische Ohrfeige, dem Edelnazi-Kanzler Kiesinger voll aufs Auge gedrückt, war seinerzeit ein starkes Zeichen, vergleichbar der schwarzen Handschuhfaust des Tommie Smith in Mexico oder dem Kniefall des Willy Brandt in Warschau, erstaunlich, überraschend und als verwackeltes, schreiendes Foto eingebrannt in meine Erinnerung.

Ihre gesammelten »Auszeichnungen« hingegen interessieren mich nicht, ebensowenig die derzeitige Nominierung durch die Partei DIE LINKE. Offenbar wird diese Nominierung verstanden als Ersatz für das Bundesverdienstkreuz. Nuja, kein starkes Zeichen, eine Geste, eine schwache.

Vielleicht bringt es ein findiger Hacker namens Anonymous fertig, den Ehrensold für das Würstchen aus Großburgwedel umzuleiten nach Paris aufs Konto von Beate Klarsfeld - das hätte was! Ehre und Sold für eine Frau, der sowas gebührt!

Walter Mossmann, 70, Autor, Regisseur, Liedermacher, Wegbereiter der Anti-AKW-Bewegung in der Bundesrepublik


Ich finde es richtig, dass die von allen Parteien wie Unberührbare ausgegrenzte LINKE einen mehr als symbolischen Akzent setzt. Denn Beate Klarsfeld ist eine echte Gegenkandidatin, die ihr Leben ganz in den Dienst der Aufklärung von NS-Verbrechen gestellt hat. Etwa indem sie geholfen hat, den »Schlächter von Lyon« Klaus Barbie aufzuspüren, der – in Frankreich zum Tode verurteilt wegen tausender Folterungen, Deportationen und Hinrichtungen – mithilfe westlicher Geheimdienste in Bolivien untergetaucht war.
Mit dem designierten Bundespräsidenten Joachim Gauck steht ihr ein Mann gegenüber, der das Beharren auf deutscher Schuld »fast neurotisch« findet. Nicht nur in seiner »Stiftung Aufarbeitung« verschiebt er daher die Notwendigkeit der Verbrechensaufklärung einseitig in Richtung Kommunismus. So hat er u. a. daran mitgewirkt, aus der Gedenkstätte für Opfer der Wehrmachtsjustiz in Torgau eine zu machen, die auch der von der sowjetischen Militäradministration verurteilten NS-Täter gedenkt. Vielleicht hilft die Konfrontation mit Frau Klarsfeld, dass Gauck als Bundespräsident NS-Verbrechen nicht relativiert.

Daniela Dahn, 62, Schriftstellerin, Trägerin der Louise-Schroeder-Medaille, des Ludwig-Börne- und Kurt-Tucholsky-Preises


Frau Klarsfeld ist eine starke und anerkannte Frau. Wer sich sein ganzes Leben lang der Aufarbeitung von NS-Verbrechen, der Verantwortung und dem Gedenken an die Shoa widmet, ist für mich eine bemerkenswerte Persönlichkeit.
Und wenn ihr enthusiastisches Engagement für Israel nun sogar auch noch ein wenig auf die Linkspartei abfärben könnte, wäre das ganz besonders schön.

Dieter Graumann, 61, Sohn polnischer Holocaust-Überlebender, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland


Als Kämpfer gegen den Faschismus unterstütze ich Frau Klarsfeld zu hundert Prozent. Sie steht für die gleiche Sache, für die wir deutschen Antifaschisten in den Armeen der Alliierten einst unser Leben einsetzten: für ein nazifreies, demokratisches und friedliebendes Deutschland.

Moritz Mebel, 89, Mitglied der Leibniz-Sozietät, kämpfte als Emigrant in der Roten Armee gegen den Hitler-Faschismus


Nach Bundespräsidenten mit NS-Vorgeschichte täte eine Amtsträgerin gut, die einen anderen Teil der Nazi-Vergangenheitsbewältigung verkörpert. Frau Klarsfelds Ohrfeige für Kiesinger war ein starker symbolischer Befreiungsakt und steht herausragend neben Willy Brandts Kniefall in Warschau. Als anständiger Christ hätte Kiesinger die andere Backe auch noch hinhalten, sein Leben fürderhin der Nazijägerei widmen und Frau Klarsfeld für diese Befreiungstat mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnen sollen.
Aber Bundesverdienstkreuze bekommen in Deutschland eher Investoren vom Schlage eines Anno August Jagdfeld – für sein eben pleite gegangenes Luxusobjekt Heiligendamm. Und da muss erst eine krude Truppe wie die Linkspartei kommen, um Frau Klarsfeld auf einen symbolischen Chancenlos-Platz für die Präsidentenamt-Bewerbung abzuschieben?

Arnulf Rating, 60, Kabarettist, ausgezeichnet u. a. mit dem Deutschen Kabarett- und dem Deutschen Kleinkunstpreis


Mit der Kandidatur wird ihr Kampf gewürdigt und zugleich erhält er neue Impulse. Deutsche Renten für SS-Verbrecher im Baltikum und die Weigerung, NS-Opfer in Griechenland und Italien zu entschädigen und die Täter zu bestrafen, weisen ebenso auf weitere antifaschistische Aufgaben hin wie der Terror der Neonazis in Deutschland.

Ulrich Sander, 70, Autor und Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA


Beate Klarsfeld besaß und besitzt das, was Joachim Gauck dem Sachbuchautor Sarrazin zu Unrecht zusprach: Mut! So wenig Mut nämlich dazu gehört, rassistische Vorurteile pseudowissenschaftlich zu verbrämen, so viel Mut musste im November 1968 dazu gehören, das opportunistische, ehemalige NSDAP-Mitglied Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger in aller Öffentlichkeit zu ohrfeigen. Mit dieser Tat – mit einem Schlag – hat sie die ganze moralische Misere der damaligen Bundesrepublik offengelegt und damit ihren Weg zur Demokratie weiter gefördert. Dafür gebühren ihr Respekt und Ehre. Allerdings ist ihre Nominierung zur Präsidentschaftskandidatin dazu der falsche Weg, die Partei DIE LINKE nimmt die Institution Bundespräsident nicht ernst. Man sollte schon zur Kenntnis nehmen, dass es in diesem Amt nicht nur um bewegende Reden, sondern eventuell auch um verweigerbare Unterschriften unter Gesetze geht, also um Politik und Macht, die in Zeiten der Krise vernünftig eingesetzt werden sollte. Beate Klarsfeld aber hat ihren Lebensmittelpunkt seit fünfzig Jahren in Frankreich und kennt die deutsche Politik nicht.

Micha Brumlik, 64, Erziehungswissenschaftler und Publizist, ehemaliger Leiter des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt / Main


Joachim Gauck wäre nicht meine erste Wahl gewesen, aber ich teile den bei vielen Linken verbreiteten, sehr eifrigen Widerwillen gegen ihn nicht. Wie man hört, ruft auch Beate Klarsfeld bei einigen unter uns Protest hervor, sie selbst und ihr Mann seien zu »israelfreundlich« heißt es hier und dort. Dieser mich beunruhigende Protest gegen sie könnte ein Grund sein, Beate Klarsfeld zu unterstützen.

Moritz Mebel
Moritz Mebel

Andrej Hermlin, 46, Pianist und Leiter des Swing Dance Orchestra, Sohn des Schriftstellers Stephan Hermlin


Beate Klarsfeld schätze ich wegen ihrer Verdienste (gestern und heute) in der Bekämpfung des Nazipacks. Ob sie dem Druck des Amtes standhalten würde, bezweifle ich.

Daniela Dahn
Daniela Dahn

Klaus Wagenbach, 81, Gründer und langjähriger Inhaber des Wagenbach-Verlages, ausgezeichnet u. a. mit dem Kurt-Wolff-Preis


Wäre 1932 bei der Reichstagswahl Hitlers Türöffner Hindenburg eine antifaschistische Frau von Mut, Geist und Welt wie Beate Klarsfeld entgegengestellt worden, hätte die nationale Mehrheit den Ostelbier dennoch gewählt. Hindenburg besiegte einst die Russen bei Tannenberg, Gauck die Bolschewisten an der Elbe. Folgt auf Weimar I ein Weimar II in Berlin?

Gerhard Zwerenz, 86, Schriftsteller, Deserteur der Wehrmacht, Träger u. a. des Alternativen Georg-Büchner-Preises


Ulrich Sander
Ulrich Sander

Erst als Frau Klarsfeld sich des Symbols der Ohrfeige bediente, gelang es durch diese Ungehörigkeit, ihrem und auch unserem Anliegen weltweit Gehör zu verschaffen. Die Symbolik verschärfend kam hinzu, dass diese Aktion die einer ungehorsamen Tochter an einem Vertreter der schuldigen Vätergeneration war. ... Frau Klarsfeld war uns allen weit voraus. Sie gehört zu denen, die auf keinem Auge blind waren, die keiner Partei angehörten, ihrem Gewissen folgten und den Satz von Böll ernstnahmen: »Das Recht ist auf Seiten der Opfer.« Und deshalb hat sie ihrem Gewissen folgend das gemacht, was sie für richtig hielt und zwar schutzlos. ... Sie ist die wahre Patriotin! Nicht wie später die Politiker, die sich mit ihren Patriotismus-Worthülsen spreizten. Das war in dieser frühen Zeit eine Einsamkeit, zwischen allen Stühlen zu sitzen. Das heißt, sich nicht anlehnen zu können, nicht gestützt zu werden; das ist eine sehr unbequeme Sitzhaltung, soll aber für das Rückgrat sehr förderlich sein.
(Günter Wallraff schickte uns seine Laudatio anlässlich der Verleihung des Georg-Elser-Preises an Beate Klarsfeld am 8. November 2009, zu der er unverändert stehe.)

Andrej Hermlin
Andrej Hermlin

Günter Wallraff,69, Schriftsteller und Enthüllungsjournalist, ausgezeichnet u. a. mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille



Günter Wallraff
Günter Wallraff
Gerhard Zwerenz
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